17-06-2025 Malente Tag 6 und 7

Mon­tag­mor­gen: juhu, end­lich ein Wochen­plan mit Ter­mi­nen im Post­fach!
Tja. Ein­zi­ger Ter­min am Mon­tag: Aqua­gym­nas­tik um 09:00 Uhr. Ansons­ten nur Mahl­zei­ten, wie gehabt in der frü­hen Gruppe.

Aber Aquasport ist super, macht rich­tig Spaß, for­dert diverse Kör­per­re­gio­nen und Mus­keln und das alles ohne Schmer­zen, weil das Gewicht ja kaum zu mer­ken ist. Schade, dass es nur ein­mal in der Woche ist. Gut, dass das Schwimm­bad abends offen hat und viel­leicht geh ich da heute Abend hin.

Ansons­ten hab ich gele­sen, in der Sonne geses­sen, geschla­fen, mei­nen Gedan­ken zuge­hört und nach dem Abend­brot mit B. (aus unse­rer Gruppe) auf der Bank im Gar­ten geses­sen und gere­det. Das ist alles nett und schön, aber darum bin ich nicht hier und ich merke, dass die viele freie Zeit mir nicht wirk­lich gut tut. 

Eigent­lich sollte heute (Diens­tag) vor­mit­tag die erste Ein­zel­the­ra­pie sein und nach dem Mit­tag eine Runde PMR, aber dann wurde das Ein­zel auf den Nach­mit­tag ver­scho­ben und zwi­schen Früh­stück und Mit­tag­essen war wie­der Leer­lauf. Um allein an mei­nem Thema zu arbei­ten, fehlt mir noch Input, das geht ja diese Woche alles erst los.
Ja, ich bin unge­dul­dig, ich hab nicht viel Zeit hier, 6 Wochen sind schnell vor­bei. Natür­lich ist mir klar, dass ich hier nie­mals das kom­plette Thema bear­bei­ten kann, aber ich will wenigs­tens den Anfang haben und an eine Stelle kom­men, von der aus ich (womög­lich auch) alleine wei­ter gehen kann.

***

Und jetzt grade komme ich aus dem Ein­zel­ge­spräch und obwohl ich den Anfang der Geschichte (mei­ner Kind­heit) schon öfter erzählt hab, bin ich doch wie­der emo­tio­nal erschöpft davon. Es ist eine Sache, zu wis­sen was war, aber eine andere, alles aus­zu­spre­chen jeman­dem gegen­über, die das noch nie gehört hat. Und es ist noch­mal was ganz ande­res, wenn dabei auf ein­mal neue Gedan­ken und Erkennt­nisse kom­men. Und wenn ich genau weiß, dass ich an die­ser Stelle nicht wie sonst auf­hö­ren werde zu reden, son­dern dies­mal wei­ter gehen will. Dahin, wo es wirk­lich trifft und wahr­schein­lich weh tut. Denn wenn ich das nicht mache, geht es nie vorbei.

***

TW Selbst­schä­di­gen­des Ver­hal­ten (SSV):
(Ich habe seit län­ge­rem eine Stelle auf der Stirn, ver­mut­lich hab ich mich an irgend­ei­ner Schrank­tür ange­hauen. Eine Ärz­tin hier hat sie sich ange­schaut und mir Salbe und Pflas­ter ver­bo­ten, damit Schorf ent­steht, der irgend­wann von selbst abfällt. Damit er das kann, darf ich aber mei­nem Drang zum Knib­beln nicht nach­ge­ben und genau jetzt, nach dem Ein­zel, möchte ich nichts lie­ber machen als so lange dran zu zie­hen und krat­zen, bis alles ab ist. Ich geh mal eine Runde an den See, viel­leicht hilft es.)

15-06-2025 Malente (schon) Tag 5

Als die Mit­ar­bei­te­rin aus Malente anrief, dass ich kom­men kann, hatte ich noch 5 Tage Zeit zur Vor­be­rei­tung: das schien mir so wenig, aber die Zeit ver­ging dann doch sehr lang­sam - jetzt bin ich schon seit 5 Tagen hier und hab das Gefühl, dass sie rennt. Dabei hab ich außer den Auf­nah­me­ge­sprä­chen noch nichts gemacht, keine The­ra­pie, kein Sport (ich darf nicht vor der offi­zi­el­len Ein­wei­sung alleine in die Mucki­bude), keine Ent­span­nungs­übung. Ich hoffe, dass ich mor­gen einen gut gefüll­ten Plan für die Woche bekomme.

Was ich getan hab heute: um halb sie­ben auf­ge­stan­den, geduscht und zum Früh­stück run­ter gegan­gen. Danach kurz an den See, wie­der ins Zim­mer und Kamera und Was­ser­fla­sche ein­ge­packt, um ein­ein­halb Stun­den mit dem Rad rum zu fah­ren. Aller­dings war es so heiß und schwül, dass ich nur noch “nach Hause” unter die kühle Dusche wollte. Ein paar ganz okaye Fotos konnte ich aber machen, vor allem von dem Viecher­zeug, das sich am Mor­gen auf dem Dach vor mei­nem Zim­mer und spä­ter auf dem See tum­melte.
Nach dem Mit­tag­essen und einer klei­nen Siesta gab es um halb drei den sonn­täg­li­chen Kaf­fee und Kuchen, den ich mir natür­lich nicht ent­ge­hen las­sen konnte. Der ist näm­lich auch auf dem Weg zum uHu durch­aus erlaubt, solange es bei einem Stück bleibt.
Zwei Mit­pa­ti­en­tin­nen saßen mit am Tisch und irgend­wann waren wir so in Gesprä­che ver­tieft, dass wir nicht mehr merk­ten, wie die Zeit ver­ging und auf ein­mal die ande­ren zum Abend­brot in den Spei­se­raum ström­ten. Also blie­ben wir ein­fach sit­zen bis nach dem Essen und rede­ten wei­ter. Das war sehr schön, sehr ent­spannt, sehr ernst­haft teilweise.

Was mich beson­ders freute, war, als die Eine meinte: “Ich sitze dir gerne gegen­über, du strahlst so eine Ruhe aus.” Und es stimmt. Ich spüre, dass ich unter kei­nem Druck mehr stehe, alles rich­tig machen zu wol­len, mich anzu­pas­sen und gut dar­zu­stel­len, damit ich nur ja gemocht werde von den ande­ren. Wir sind natür­lich noch dabei, uns ken­nen zu ler­nen und es wird viel erzählt aus dem eige­nen Leben, aber ich muss da nicht mit­hal­ten und schon gar nicht beson­ders wit­zig oder schlag­fer­tig sein, um einen Ein­druck zu hin­ter­las­sen. Ich weiß, wer ich bin. Wenn andere mit mir klar kom­men, freu ich mich - wenn nicht, ist es nicht mehr schlimm. Frü­her (und jetzt vor allem im Ver­gleich mit mei­ner Zeit damals in Malente kann ich das erken­nen) war es mir so wich­tig, dass sich nach­her ja die ganze The­ra­pie darum drehte. Ich war so aus­ge­hun­gert nach Kon­takt, nach Zuwen­dung und Auf­merk­sam­keit, dass ich nur noch daran den­ken konnte. Jetzt bin ich in Gesell­schaft, wenn ich Lust dazu hab oder alleine, wenn mir mehr danach ist. Ich hab nicht mehr die Befürch­tung, etwas zu ver­pas­sen, wenn ich alleine bleibe. Es gibt eine Zeit für Gesprä­che und Gemein­schaft und es gibt Zei­ten für mich und ich kann bei­des genie­ßen. So ist es zuhause ja auch, aber dass es auch mit neuen Men­schen so geht, ist für mich neu.
Ja, ich bin ruhig, ent­spannt, auf­merk­sam und acht­sam gegen­über den ande­ren, bleibe dabei aber sehr bei mir. Ich hoffe und denke, dass das die rich­tige Grund­ein­stel­lung ist, um hier inten­siv an mei­nen Sachen zu arbei­ten. Also, wenn das dann end­lich mal los geht …

***

Fotos vom Tag.

14-06-2025 Malente Tag 2 bis 4

Ich bin nicht mehr ganz so erschöpft wie zuhause, aber immer noch sehr müde. Sicher liegt das mit daran, dass ich jeden Mor­gen um halb sie­ben auf­stehe, weil ich in der ers­ten Früh­stücks­gruppe um 7:00 Uhr bin. Noch hab ich kei­nen Ler­chen­rhyth­mus, ich gehe etwas zu spät ins Bett und möchte am liebs­ten alle freien Zei­ten ver­schla­fen.
Und ich kann schla­fen hier! Es ist still, die Lüf­tung vom Schwimm­bad (das vor mir in einem Anbau ist) wird über­tönt vom wun­der­ba­ren Rau­schen der Bäume am See, es gibt kein Rad­au­kind über mir. Außer­dem ist es nachts dun­kel, kein künst­li­ches Licht leuch­tet drau­ßen und wenn die Mor­gen­sonne um die Haus­ecke scheint, bin ich längst auf. Selbst tags­über schlafe ich immer ganz schnell ein, weil es schön ruhig ist.

Aber ich will den freien Sams­tag­nach­mit­tag doch nut­zen, um hier mal nachzutragen.

***

Der Don­ners­tag begann schon um halb sie­ben mit der Gewichts­kon­trolle. Ich schreibe es offen und stehe dazu: 110 kg sind es. Das ist das geringste Gewicht seit mehr als 10 Jah­ren; selbst nach der Zeit hier in 2018, als ich acht Kilo abge­nom­men hatte, waren es mehr. Das ist eine gute Aus­gangs­lage, um mein Ziel - ein uHu (unter Hun­dert) zu wer­den - bald zu errei­chen. Und wenn es keine zehn wer­den, dann hoffe ich doch, dass ich weni­ges­tens als klei­nes Hu nach Hause komme und dort wei­ter arbei­ten kann.

Der nächste Ter­min um 10:00 Uhr machte mir Sor­gen vor­her: die zweite medi­zi­ni­sche Auf­nahme, dies­mal mit Unter­su­chung. Zum Glück auch wie­der bei einer Frau, aber ich mag mich bzw. mei­nen Kör­per ein­fach so ungern angu­cken und anfas­sen las­sen.
Die Ärz­tin war dann aber sehr sym­pa­thisch, jung, zurück­hal­tend und sehr respekt­voll. Ich hatte ihr gleich gesagt, dass das hier grade schwie­rig ist und sie nahm Rück­sicht dar­auf, fragte jedes­mal, ob sie mich abtas­ten, abhö­ren, anfas­sen darf und ich hätte immer die Mög­lich­keit gehabt, Nein zu sagen. Liebe Ärzt:innen, nehmt euch ein Bei­spiel! So funk­tio­niert das dann auch mit ängst­li­chen Patient:innen!
Am Ende war mehr als eine Stunde ver­gan­gen, wir haben gelacht, viel gere­det, ich konnte mich öff­nen und hatte wirk­lich das Gefühl, dass sie mich gese­hen hat. Ver­ord­net hat sie ein EKG, Blut­ab­nahme, regel­mä­ßige Blut­druck­kon­trolle und einen Ter­min bei der Physiotherapeutin.

Eine halbe Stunde spä­ter war das nächste, für mich noch wich­ti­gere Gespräch dran: das mit der Psy­cho­lo­gin. Ich saß im War­te­be­reich und hatte Herz­klop­fen. Wie sieht sie aus, wie alt wird sie sein, wie wird sie über­haupt sein, werde ich sie mögen und über­haupt: wird sie meine The­ra­peu­tin oder macht sie nur das Erst­ge­spräch?
Und dann kam sie aus ihrem Raum gestürmt, lächelte mich strah­lend an, meinte “ich nehm Sie gleich mit” und ver­schwand im Sta­ti­ons­zim­mer, das gleich gegen­über von ihrem Sprech­zim­mer liegt. Ein paar Minu­ten spä­ter stürmte sie da wie­der raus und wir gin­gen zu ihr rein. Ein Wir­bel­wind! :-))
Sie ist sehr sym­pa­thisch, jung (viel­leicht Anfang drei­ßig), direkt - auf eine gute Art - und, wie sie selbst meint, manch­mal etwas ver­peilt. Wir sind dann den Bericht von 2018 noch­mal durch­ge­gan­gen, sie hat sich die Ände­run­gen notiert und wir spra­chen dann dar­über, warum ich dies­mal hier bin. Das ging ein, zwei Mal schon sehr tief, aber ins­ge­samt war das Gespräch wirk­lich sehr gut. Auch hier fühle ich mich als Mensch und als Indi­vi­duum gese­hen und ange­nom­men.
Jede:r Patient:in wird in eine Haupt­gruppe und meh­rere Neben­grup­pen ein­ge­teilt. Bei mir sind es eine DBT-Gruppe und dazu bis jetzt PMR und Ergo­the­ra­pie. Ich hörte inzwi­schen, dass es eine Ima­gi­na­ti­ons­gruppe gibt und werde fra­gen, ob ich da mit rein kann.

Nach­mit­tags wur­den wir Neu­an­kömm­linge der Woche noch vom Chef der Kli­nik höchst­per­sön­lich begrüßt und dann war auch end­lich Zeit fürs Abend­essen.
Danach war ich eine Weile auf einer Bank am See und hab Fotos gemacht und fri­sche Luft und Ruhe genos­sen. Anschlie­ßend war ich eigent­lich auf dem Weg in mein Zim­mer, aber dann saß da im Auf­ent­halts­raum eine kleine Runde mit net­ten Frauen, die frag­ten, ob ich “Phase 10” mit­spie­len will. Zwei Stun­den spä­ter tat der Bauch vom Lachen weh und ich stellte wie­der fest, wie gut sol­che Abende tun kön­nen. Da hält sich sogar die Hoch­sen­si­bi­li­tät eine Weile zurück, solange die Anzahl der Men­schen über­schau­bar ist.
Wie ich jetzt grade sehe, hab ich die Haus­füh­rung dadurch ver­passt, aber ich kenn das ja alles schon.

Am Frei­tag gab es wie­der Früh­stück um sie­ben Uhr, heute am “Tisch der Stille”. Das ist eine groß­ar­tige Ein­rich­tung: in zwei Berei­chen des drei­tei­li­gen Spei­se­rau­mes gibt es je zwei Tische, an denen wäh­rend der Mahl­zei­ten geschwie­gen wird. Sie sind für alle da, die es brau­chen. Nie­mand muss reden und nie­mand muss erklä­ren, warum nicht. Als Mor­gen­muf­fel ist das aus­ge­spro­chen (ha! :-D) angenehm.

Danach ging es zur Pati­en­ten­be­fra­gung; da sitzt eins am Lap­top und beant­wor­tet Fra­gen zur aktu­el­len Ver­fas­sung. Am Ende des Auf­ent­halts wer­den die glei­chen Fra­gen noch­mal gestellt, so dass die Kli­nik eine Aus­wer­tung erstel­len kann, die dann an die behan­deln­den Ärzt:innen geschickt werden.

Nach einem Kurz­be­such im Pfle­ge­zim­mer wegen mei­ner blö­den Stelle auf der Stirn, die ein­fach nicht hei­len will, hatte ich das letzte der Auf­nah­me­ge­sprä­che, dies­mal mit der Phy­sio­the­ra­peu­tin. Auch hier wie­der Fra­gen über Fra­gen (was und wo tut es weh, wie tut es weh, hat­ten Sie Unfälle und/oder Ope­ra­tio­nen, wel­che Ein­schrän­kun­gen sind da …) und am Ende die Ver­ord­nung für die “Mucki­bude” (2x pro Woche mit fes­tem Ter­min, frei­wil­lig jeder­zeit mehr), ein­mal pro Woche Aqua­gym­nas­tik und zusätz­lich mei­nen heiß gelieb­ten Medi-Stream.

Damit waren alle Auf­nah­me­ge­sprä­che erle­digt. Nächste Woche geht es rich­tig los mit den diver­sen Grup­pen und der Ein­zel­the­ra­pie; der genaue Plan wird wohl am Mon­tag­mor­gen kom­men. Ich bin gespannt und freu mich auf die Arbeit - ja, sogar auf den Sport. Ich hätte gerne so einen Schritt­zäh­ler: ich gehe hier an einem Tag mehr als in einer Woche bei mir zuhause. Und wann immer ich mich in der Lage fühle, nehme ich die Treppe und nicht den Auf­zug. Mei­nen Füßen und Knien geht es gut dabei. 

Am Nach­mit­tag hab ich aber doch das Fahr­rad genom­men und bin kurz in die Stadt gefah­ren, um ein paar Sachen ein­zu­kau­fen und auf dem Rück­weg eine neue Lieb­lings­stelle am See zu finden.

Heute ist Sams­tag und ich musste vor­hin wirk­lich nach­zäh­len: seit vier Tagen bin ich schon hier! Ich fühle mich wohl, die Atmo­sphäre ist gut, die Mit­pa­ti­en­tin­nen (vor allem natür­lich aus unse­rer Ankom­mens­gruppe) nett bis sehr nett. Dass sie den Lieb­lings­men­schen von damals nicht das Was­ser rei­chen kön­nen, emp­finde ich als posi­tiv: ich hatte sowieso nicht vor, groß­ar­tige Freund­schaf­ten zu schlie­ßen oder mich mit mensch­li­chen Pro­ble­men zu befas­sen, die nicht meine sind. Dies­mal bin ich mit einem ganz ande­ren Thema hier und stehe für mich an ers­ter Stelle. Die Zeit ist kurz genug, die wir hier zum arbei­ten haben.

Am Wochen­ende ist hier nichts los, man trifft sich zu den Mahl­zei­ten, man­che unter­neh­men was zusam­men oder lie­gen wie heute gemüt­lich auf der Lie­ge­wiese in der Sonne. Unsere Runde wird wahr­schein­lich heute Abend wei­ter spie­len und mor­gen fahr ich even­tu­ell mal ein wenig mit dem Fahr­rad in die Gegend, falls es nicht regnet.

11-06-2025 Malente Tag 1

Hun­de­müde vom letz­ten Tag der Vor­be­rei­tun­gen um Mit­ter­nacht ins Bett gefal­len. Alle ein­ein­halb Stun­den auf­ge­wacht und aufs Handy geguckt, ob es noch an ist und wie spät es ist und ob ich nicht ver­schla­fen hab. 3 Sekun­den vor dem Klin­geln um 5 Uhr mor­gens auf­ge­stan­den. Wie schön still es um diese Uhr­zeit noch ist drau­ßen! Es sieht nach einem schö­nen Tag aus: bes­tes Reisewetter.

Ich hatte die U-Bahn um 06:21 geplant, aber mein “du musst dich beei­len, du darfst nicht zu spät sein, du darfst nichts ver­ges­sen” - Kopf sorgte für eine Bahn frü­her. Das Fahr­rad­ti­cket hatte ich am Abend schon online gebucht. Alle Auf­züge funk­tio­nier­ten und so war ich gut 20 Minu­ten zu früh am Bahn­hof, aber ich warte ja eh lie­ber als dass es hek­tisch wird.

Pünkt­li­che Abfahrt um 07:06, ent­spann­ter Umstieg in Lübeck, pünkt­li­che Ankunft in Malente um 08:34 Uhr. Und weil ich den Weg ja gut kenne, war ich um kurz vor 9 an der Kli­nik.
Alles ist ver­traut, der ganze Ein­gangs­be­reich sieht aus wie damals, selbst die nette Mit­ar­bei­te­rin an der Rezep­tion ist noch da - und freute sich, dass ich sie erkannt hab. Die ers­ten Mitpatient:innen saßen schon da, im Lauf der Zeit wur­den wir eine Gruppe von zehn Neuen. Ers­tes Ken­nen­ler­nen, erste kleine Gesprä­che, wie das so eben läuft. (Und ich muss auf­pas­sen mit dem Small­talk: ich kann ihn ja gut, aber dann werde ich gerne mal über­rannt und falsch ein­ge­schätzt, weil man mit mir ja so leicht ins Gespräch kommt.)

Den Vor­mit­tag über gab es dann erste Auf­nah­me­ge­sprä­che mit der Ver­wal­tung, der Pati­en­ten­ko­or­di­na­tion, der Pflege und zum Schluss mit einer Ärz­tin. Mor­gen fol­gen dann noch die medi­zi­sche Unter­su­chung und das Gespräch mit der Psy­cho­lo­gin.
Die Pfle­ge­mit­ar­bei­te­rin brachte mich zu mei­nem Zim­mer und ich bin soooo glück­lich damit! Es ist nicht groß und hat lei­der kei­nen See­blick, aber ich habe eine gemüt­li­che Sitz­ecke und vor allem einen Bal­kon mit Nach­mit­tags­sonne. Dazu zwei große Fens­ter - eins lässt sich weit öff­nen -, die rich­tig viel Licht her­ein las­sen. Der Blick geht auf die Lie­ge­wiese der Kli­nik (und andere, nied­rige Gebäude), ich sehe viel Grün, höre Vögel sin­gen - und die Lüf­tung vom Schwimm­bad, aber die ist ganz gleich­mä­ßig und ver­schwin­det schon lang­sam als dif­fu­ses Hin­ter­grund­rau­schen.
Doch, hier werde ich es gut aus­hal­ten können.

Gewöh­nungs­be­dürf­tig wer­den die Essens­zei­ten sein. Hier gibt es inzwi­schen für jede Mahl­zeit zwei Grup­pen, jede hat 45 Minu­ten Zeit zum essen. Wer in wel­cher Gruppe ist, kann täg­lich wech­seln; bis jetzt sieht es aber so aus, als würde man am glei­chen Tag immer in der glei­chen Gruppe sein. Aber so ganz steige ich noch nicht durch das Sys­tem. Es ist einer­seits schon selt­sam, bereits um 17:15 Uhr zu Abend zu essen, ande­rer­seits bedeu­ten die zwei Grup­pen auch weni­ger Stress, weil ja viel weni­ger Men­schen auf ein­mal in den Spei­se­räu­men sind. Ich denke, das wird sich schon bald einspielen.

Ansons­ten sind bis­her alle Mitpatient:innen aus der Ankom­mens­gruppe auf ihre eigene Art nett, die Mitarbeiter:innen freund­lich, herz­lich, offen. Und Mitt­woch­abends ist immer noch Sin­gen mit Lene! Heute mag ich noch nicht, weil ich erst­mal ankom­men und die gan­zen Ein­drü­cke ver­ar­bei­ten muss, aber ich freu mich jetzt schon auf nächste Woche.

Ganz trau­rig ist aber, dass es mei­nen Lieb­lings­platz mit der wei­ßen Bank auf dem Steg nicht mehr gibt. Der ganze Schiffs­an­le­ger ist abge­ris­sen, es gibt kaum noch einen Sitz­platz, von dem man gemüt­lich auf den See gucken kann. Echt schade, ich hatte mich so sehr auf die Bank gefreut. Dann muss ich mir jetzt einen neuen Lieb­lings­platz suchen.

Und jetzt muss ich über­le­gen, was ich mit dem Abend noch anstelle. Es ist kurz vor 20 Uhr, viel zu früh für’s Bett, auch wenn ich mor­gen früh um 06:30 zum Wie­gen muss. Aber egal, das WLAN gibt es inzwi­schen frei im gan­zen Haus, da kann ich ja noch etwas nachlesen.

***

Hier noch die ers­ten Fotos.

10-06-2025 Wohlan

Alles erle­digt, die Liste abge­ar­bei­tet, die Sachen fer­tig gepackt. Mor­gen früh noch die letz­ten Hand­griffe und dann über­gebe ich die Woh­nung in die Hände der bes­ten Toch­ter und dem bes­ten Enkel, die regel­mä­ßig nach dem Rech­ten schauen werden.

Meine Gefühle pur­zeln immer noch durch­ein­an­der, von Muf­fen­sausen zu Vor­freude zu Panik zu gespann­ter Erwar­tung und wie­der zurück. Mal sehen, ob ich heute Nacht ein paar Stun­den schla­fen kann. 

***

Ich hab mir vor­ge­nom­men, die Zeit in Malente schrift­lich zu beglei­ten hier im Blog. Ich will offen schrei­ben über meine Pro­bleme und deren Ursa­chen, über das was ich lerne und wie es mir geht dabei. Zu for­mu­lie­ren hilft mir beim ver­ste­hen - und wenn es nur einem andern Men­schen gut tut, dann ist es mehr, als ich erwarte. 

Also dann: auf ins neue Kapitel.

09-06-2025 Noch zweimal schlafen

Die Tage sind gut gefüllt, ich arbeite meine Pläne und Lis­ten ab, es geht voran. Alle Wäsche ist gewa­schen, der neue Lap­top ist ein­ge­rich­tet, die große Tasche ist gepackt und wird mor­gen früh vor­aus geschickt und auf dem Küchen­tisch sta­peln sich die ande­ren Dinge, die in den Ruck­sack kom­men (Bücher, Notiz­buch, Stifte, Strick­zeug, Steine, Lade­ka­bel …). Mor­gen muss ich noch ein paar letzte Sachen besor­gen (hat irgend­je­mand meine tolle Wasch­ta­sche gese­hen oder muss ich die doch neu kau­fen?) und nach­mit­tags mit dem Staub­sauger durch die Bude wir­beln, dann ist alles erle­digt. Und ich ver­mut­lich auch.

Am Frei­tag schien es mir so schnell zu gehen, viel zu schnell, aber letz­ten Endes waren es ja doch fünf ganze Tage Zeit zur Vor­be­rei­tung: ich konnte mir darum auch genug Pause und Ent­span­nungs­zeit neh­men. Heute, wo es dann wirk­lich ans Packen ging, kam aber doch zwi­schen­durch leichte Panik hoch. Ich kenn die Kli­nik ja schon, aber das ist 7 Jahre her, viel­leicht wahr­schein­lich wird es dies­mal ganz anders und meine Phan­ta­sie malt sich die wil­des­ten Dinge aus.

Und dann mach ich mir wie­der klar, dass es nur sechs Wochen sind. Ob das über­haupt reicht?

07-06-2025 Es geht los!

Jetzt grade sitze ich am Schreib­tisch, mein Blut­druck ist ver­mut­lich so hoch wie die Schwei­zer Alpen, der Blut­zu­cker eben­falls, mir ist schwin­de­lig und der Magen spinnt. Wenn ich nicht so viel zu tun hätte, würde ich mich ein­fach ins Bett legen und abwar­ten. Geht aber nicht, darum nehm ich mir wenigs­tens einen Moment Pause, um zu schrei­ben - viel­leicht beru­higt es mich ein bißchen.

Ges­tern mor­gen wurde ich näm­lich um 09:33 Uhr von mei­nem Tele­fon geweckt. Eine unbe­kannte Num­mer mit der Vor­wahl von Malente - das kann ja nur eins bedeu­ten und so ist es auch:

ICH FAHRE AM MITTWOCH NACH MALENTE!!!

Und sofort setzt die Auf­re­gung ein. Schaff ich das, was muss ich noch tun, hab ich alles, bin ich wirk­lich bereit, ich hab doch die Zeit­leiste noch gar nicht fer­tig und das ganze Alt­pa­pier muss auch noch weg und dann kann ich nicht mit der Mitt­wochs­gruppe auf den Grü­nen Bun­ker und über­haupt und HILFE!!!
Erst­mal die Toch­ter anru­fen. Und die lacht und sagt, dass sie grade unter der Dusche steht und laut gesun­gen und an mich gedacht hat! Dann geh ich auch erst­mal duschen und wie durch­ein­an­der ich bin, merke ich daran, dass ich erst zum Dusch­gel greife und nicht wie üblich zum Sham­poo (und dass ich spä­ter ver­gesse, meine Mor­gen­me­dis zu neh­men). Das Tele­fo­nat danach tut gut, beru­higt erst­mal ein wenig, macht es real. Ich fahre am Mitt­woch nach Malente.

Beim Früh­stück schreibe ich an Freun­din D., infor­miere meine Bezugs­frau und die Mitt­wochs­gruppe vom Hilfe-Dings, rufe bei der Fri­seu­rin mei­nes Ver­trau­ens an und bekomme spon­tan einen Ter­min für in zwei Stun­den und setz mich dann an die Liste. Was muss ich noch erle­di­gen, was noch ein­kau­fen, was nehme ich mit und wie packe ich das ein und vor allem: wie trans­por­tiere ich das zum Bahn­hof? Der Nach­bar ver­spricht, noch heute mein neues Fahr­rad fer­tig zu machen (da musste noch ein Korb vorne dran und einer hin­ten weg) und erle­digt das auch spä­ter. Die ers­ten Dinge kom­men in Gang, das ist gut.

Nach­mit­tags ver­su­che ich, etwas Schlaf nach­zu­ho­len, aber der Kopf lässt nicht los. Also steh ich wie­der auf, backe einen Kuchen (der Kühl­schrank muss ja geleert wer­den), mach mir Essen, schreibe die Lis­ten fer­tig, plane weiter.

Nur noch 4 mal schla­fen!
Ich hab Schiss und freu mich gleich­zei­tig. Aber ich krieg das hin, das wird schon alles werden.

02-06-2025 Vergangenheit

Neben mir auf dem Fuß­bo­den ste­hen Schach­teln vol­ler Fotos, Briefe, Post­kar­ten, Erin­ne­rungs­stü­cke. Meine Ver­gan­gen­heit aus etwa vier Jahr­zehn­ten, fest gehal­ten für ewig auf Papier. Eini­ges davon ist fein sor­tiert nach Jahr­gän­gen und nach betei­lig­ten Per­so­nen, ande­res völ­lig durch­ein­an­der. *)

Seit ich mit der Zeit­leiste ange­fan­gen habe, tau­che ich immer wie­der mit­ten hin­ein. Erin­nere mich, denke an Ereig­nisse, Sze­nen, Men­schen. Ver­su­che, mich in all dem zu fin­den. Ich sehe mich auf den Bil­dern und weiß oft wie­der, wie ich mich gefühlt habe damals. In eini­gen Kin­der- und Jugend­fo­tos erkenne ich schon, was mal wird. Man­ches ist mir pein­lich (wie konnte ich nur soo lange mit die­sem einen Typen zusam­men sein?). Ande­res macht mich trau­rig, weil ich mich doch so oft ver­lo­ren habe, um nicht alleine zu sein.

Aber ich frage nicht mehr, was gewe­sen wäre, wenn ich andere Wege genom­men hätte. Und zum ers­ten Mal bin ich ver­sucht, einen gro­ßen Teil die­ser Zeit­zeug­nisse weg­zu­wer­fen. Ich habe abge­schlos­sen damit, ich brau­che es nicht mehr. Toch­ter und Enkel, die als ein­zige nach mir kom­men, sowieso nicht. Nur noch auf­be­wah­ren, was sie betrifft, dazu viel­leicht eine Hand­voll Fotos aus jedem Jahr, das müsste doch reichen. 

Kei­nen Bal­last hin­ter­las­sen. Nicht mehr fest­hal­ten an dem, was war und nicht mehr wie­der kommt. Die Ver­gan­gen­heit los las­sen, die übri­gen Kis­ten fest ver­schlie­ßen und in die hin­terste Ecke im Kel­ler schie­ben. Frie­den schlie­ßen mit mei­nem Weg und end­lich im Jetzt sein.

Ob ich das kann?

***

*) Die Toch­ter mag drei gewe­sen sein. Eines Sonn­tag­mor­gens wachte ich auf und stellte fest, dass sie mich unge­wöhn­lich lange hat schla­fen las­sen. Als ich auf­ste­hen wollte, sah ich sie neben mei­nem Bett sit­zen, mucks­mäus­chen­still. Sie hatte unter mei­nem Bett die Kiste mit den Fotos gefun­den, die damals noch Papier­fo­tos waren und die man vom Foto­la­den zusam­men mit den Nega­ti­ven in die­sen spe­zi­el­len Hül­len bekam. Und eben die hat das Kind nun ein­zeln geöff­net, die Fotos raus­ge­holt und auf einen Sta­pel gelegt, dann die Nega­tive genom­men und auf einen ande­ren Sta­pel gelegt und zum Schluss die Hül­len auf einen drit­ten Sta­pel. Soweit ich mich erin­nere, dürf­ten da so 20 bis 30 Hül­len in der Schach­tel gewe­sen sein - jetzt auf­ge­teilt auf 3 Sta­pel. Rich­tige Schwerst­ar­beit war das für so ein klei­nes Kind! Und stolz war sie drauf! Tja, und jetzt gibt es da eben diese Schach­tel mit den unsor­tier­ten Fotos.

30-05-2025 Was war, was ist, was wird

Malente
Keine Nach­richt bis­her, wann es einen freien Platz für mich gibt. Ich habe alles erle­digt, was vor­her noch drin­gend war (siehe unter “Gesund­heit” wei­ter unten), habe nötige Sachen ein­ge­kauft, das neue Fahr­rad ist so gut wie fer­tig, nur der Zweit­schlüs­sel für den Nach­barn fehlt noch. Im Prin­zip bin ich also abfahr­be­reit, aber ich weiß halt nicht, wann. Ich sitze und warte und ver­su­che nicht zu viel daran zu den­ken, aber ich will jetzt end­lich los. Ich will das hin­ter mir haben.
Und in der Zwi­schen­zeit schlage ich mich mit Igor rum.

Depres­sion
Theo­re­tisch war mir ja immer klar, dass die Depres­sion chro­nisch ist und jeder­zeit wie­der kom­men kann. Nach zwei Jah­ren mit nur sel­te­nen und rela­tiv harm­lo­sen Epi­so­den war ich aber nicht drauf gefasst, dass es mich aus­ge­rech­net nach der guten Nach­richt aus Malente erwischt und dass es noch ein­mal so eine schlimme Phase sein würde.
Mit der Erleich­te­rung und der Freude fiel die Anspan­nung von ein­ein­halb Jah­ren ab und ich rutschte ganz tief ins schwarze Loch. Auf ein­mal waren alle “Losig­kei­ten” wie­der da, allen voran die Antriebs- und die Hoff­nungs­lo­sig­keit. Dazu wie immer die Frage: warum mach ich das alles? Kann ich es wirk­lich schaf­fen, meine Ess­stö­rung in den Griff zu bekom­men, kann es gesund­heit­lich über­haupt noch­mal auf­wärts gehen und mir etwas mehr Lebens­qua­li­tät geben? Was, wenn nicht? Ich fand keine Ant­wor­ten, es gab kein Licht.
In den letz­ten paar Wochen hab ich mich nach und nach aus dem Loch gequält, aber so wirk­lich hell ist es noch nicht. Eigent­lich möchte ich nur irgendwo still sit­zen oder schla­fen. Nichts müs­sen, nichts wol­len, nichts den­ken. Ich halte aus, wie immer - “fake it until you make it” -, aber die Kraft dazu schwindet.

Trau­er­zeit
Und dann kam mit­ten in der Depres­sion, aus­ge­löst durch einen Traum von M., aus dem ich wei­nend auf­wachte, auch noch eine Woche vol­ler Trauer und Trä­nen. Ich träume immer noch immer wie­der von ihm; meis­tens kann ich das recht schnell weg schie­ben, aber die­ses Mal hat es mich kom­plett über­rollt. Die­ses Mal war es zu nah am sowieso gegen­wär­ti­gen Schmerz über mein Allein-Sein.
Diese Bezie­hung war ein­fach die mit gro­ßem Abstand wich­tigste für mich. Nie vor­her oder nach­her *) habe ich jeman­den so sehr, so tief, so mit all mei­nem Sein geliebt. Er war DER Mann für mich, der, mit dem ich alt wer­den wollte, dem ich ver­trauen wollte, dem ich alles geben wollte. Als er ging, war es, als würde mein Herz in Stü­cke rei­ßen. Es ist nicht gebro­chen, son­dern rundum und bis in tiefe Schich­ten auf­ge­ris­sen. Die Nar­ben, die sich im Laufe der Zeit gebil­det haben, sind nicht glatt, son­dern rau und ris­sig und wenn dann ein Trig­ger kommt, ist es, als würde ich Schorf von einer Wunde zie­hen und es fängt sofort an zu blu­ten.
Es hat eine Weile gedau­ert, bis ich wie­der in mei­nem Jetzt war, bis ich wie­der anneh­men konnte, was ist und wie anders mein Leben ver­lau­fen ist als damals erträumt. Ich wußte, dass ver­drän­gen dies­mal nicht hilft, also habe ich aus­ge­hal­ten, die Trauer und die Trä­nen zuge­las­sen, mich bewußt erin­nert und gewar­tet, bis genug Haut nach­ge­wach­sen war. Mehr konnte ich nicht tun. Ich hoffe nur, dass die neue Haut lange hält.

*) Einen ein­zi­gen ande­ren Men­schen gibt es, den ich mit der glei­chen Inten­si­tät, Tiefe und Bedin­gungs­lo­sig­keit liebe, wie ich M. liebte, und das ist die Toch­ter. Es ist eine andere Art der Liebe, aber es ist eine gute und gegen­sei­tige Liebe und ich bin zutiefst dank­bar dafür.

Gesund­heit
Nach­dem das Krib­beln in den Füßen nicht mehr nur unan­ge­nehm bis ner­vig war, son­dern manch­mal auch sehr schmerz­haft (wie kurze Strom­stöße), hab ich mir im Februar end­lich einen Ter­min bei einer Neu­ro­lo­gin geholt. Sie hat bestä­tigt, was ich von Tante Google schon ahnte: es ist Poly­neu­ro­pa­thie als Folge der Dia­be­tes. Noch nicht sehr schlimm, aber das was jetzt da ist, wird auch nicht wie­der weg gehen. Etwas auf­hal­ten und vor allem bes­ser aus­hal­ten lässt es sich mit einem Medi­ka­ment, das gleich­zei­tig auch als Anti­de­pres­si­vum ein­ge­setzt wird. Das wollte ich ja eigent­lich nie wie­der, aber nach­dem es gegen meine zu der Zeit akute Depres­sion sowieso nicht gewirkt hat, war es dann egal. Das Krib­beln ist jeden­falls aushaltbar.

Im März war ich bei der Augen­ärz­tin, weil ich seit eini­ger Zeit vor allem auf dem lin­ken Auge wie­der schlech­ter sehen konnte. Damit hatte ich dann eine Laser­be­hand­lung gewon­nen, denn es hatte sich ein sog. Nach­star gebil­det. Diese Behand­lung fand 5 Wochen spä­ter statt, war bis auf die Panik­at­ta­cken vor­her nicht wirk­lich schlimm und wirkte sofort. Auf dem rech­ten Auge ist auch was zu sehen, aber das hat Zeit auf jeden Fall bis nach Malente.
Zusätz­lich zum Nach­star hatte ich im rech­ten Auge eine kleine Blu­tung und durfte zur Beloh­nung zwei­mal 24 Stun­den mit einem Blut­druck­mess­ge­rät ver­brin­gen. Das mit der Beloh­nung ist natür­lich iro­nisch gemeint, weil das über­haupt kei­nen Spaß macht, wenn alle Vier­tel­stunde (bzw. alle halbe Stunde in der Nacht) der Arm abge­quetscht wird. Aber gut, jetzt weiß ich, dass mein Blut­druck bei allen mög­li­chen und unmög­li­chen Gele­gen­hei­ten in schwin­delnde Höhe schießt und hab außer­dem noch ein Medi­ka­ment mehr zum Frühstück.

So rich­tig gut war im April dann aber der vier­tel­jähr­li­che Besuch in der Dia­be­tes­pra­xis, denn da war deut­lich zu sehen, dass das Insu­lin, das ich seit letz­tem Okto­ber täg­lich spritze, wirk­lich wirkt. Der Blut­zu­cker-Lang­zeit­wert ist von 10,7 auf 7,3 run­ter gegan­gen - und ich hab sogar 4 kg abge­nom­men! Davon ist eins zwar wie­der da, aber das finde ich grade nicht so schlimm. Dafür warte ich ja auf Malente. 

The­ra­pie und Hilfe-Dings
Im März hatte ich mein (vor­erst) letz­tes The­ra­pie­ge­spräch. Ich habe beschlos­sen, dass es gut ist wie es ist. Seit April 2018 war ich bei ihr, drei Jahre lang wöchent­lich, danach ein­mal im Monat. In den letz­ten Gesprä­chen hab ich eigent­lich haupt­säch­lich erzählt, was in der Zwi­schen­zeit so los war, aber wirk­lich the­ra­peu­tisch, z.B. an der Ess­stö­rung, haben wir nicht mehr gear­bei­tet. Wie sich zeigt, hab ich meine Depres­sion ja auch im Griff und kann sogar mit sol­chen schwe­ren Epi­so­den umge­hen. Ich hab so viel gelernt in den Sit­zun­gen und mir genü­gend Skills erar­bei­tet, dass ich alleine gehen kann. Das fühlt sich manch­mal noch komisch an, aber es passt. Ich werde mich aber auf jeden Fall nach Malente noch­mal bei ihr mel­den und je nach Lage wird es eine Abschieds­stunde oder sie bean­tragt eine Kurz­the­ra­pie von 3 Mona­ten, um even­tu­ell übrig geblie­be­nes aus der Kli­nik fer­tig zu bear­bei­ten.
Dass ich die The­ra­pie los las­sen kann, liegt natür­lich auch daran, dass das Hilfe-Dings ja wei­ter­hin da ist. Die wöchent­li­chen Gesprä­che mit Frau R., die Mitt­wochs­gruppe, die Aus­flüge mit ande­ren Klient:innen … das tut mir gut. Das ist mein sozia­les Netz in “real”, das mich trägt.

An die­ser Stelle mal wie­der ein Danke an die Men­schen, die an mei­ner Seite ste­hen: ohne euch würde und könnte ich mich nicht immer wie­der nach oben kämp­fen. (Ihr wißt, wen ich meine.)

War­ten
Die Zeit, bis end­lich eine Nach­richt aus Malente kommt, ver­su­che ich irgend­wie ver­nünf­tig zu fül­len (und ent­ge­gen des Bedürf­nis­ses nicht nur zu ver­schla­fen). So habe ich ange­fan­gen, eine Zeit­leiste mei­nes Lebens zu erstel­len, weil ich inzwi­schen Jah­res­zah­len ver­gesse oder durch­ein­an­der werfe. Das Gerüst steht, das Lay­out auch, jetzt muss ich es fül­len. Dazu muss ich aber in die Ver­gan­gen­heit tau­chen und anhand von Fotos und Tage­bü­chern Ereig­nisse mit Daten zusam­men brin­gen und das ist nicht grade leicht. Da kommt so vie­les wie­der hoch, so viele Erin­ne­run­gen, die schwie­rig sind. Der Gedanke war, anhand der Liste viel­leicht erken­nen zu kön­nen, wann die Ess­stö­rung los ging und womög­lich sogar Ursa­chen zu fin­den, aber da hängt eben noch so viel mehr dran. Noch hab ich kein Sys­tem gefun­den, alles zu sor­tie­ren in rele­vant oder “kann für immer weg”. Und man­ches­mal muss ich mich zwin­gen, was ande­res zu tun, weil es zu tief nach unten geht. Ich weiß noch nicht, wie ich damit umge­hen kann.

Was ich weiß: ich geb nicht auf, trotz allem.

***

P.S. Und weil das zur Chro­nik gehört, erwähne ich hier noch­mal extra, dass mein Blog seit Februar in Uschis Blog­samm­lung “blogs50plus” ein­ge­tra­gen ist. Das ist eine Samm­lung “zum Suchen, Fin­den und Ent­de­cken” und hat inzwi­schen fast 300 Blogs gelis­tet, die von Men­schen ab 50 betrie­ben wer­den. Guckt doch mal rein, bestimmt fin­den sich inter­es­sante Themen!

28-01-2025 Hochsensibel

Ich wache mor­gens mit­tags auf und der erste klare Gedanke ist: ich hab den Platz in der Kli­nik. Aber bis diese Tat­sa­che in mir ange­kom­men ist und nicht jedes­mal wie­der ein kur­zes Stol­pern im Her­zen aus­löst, braucht es ver­mut­lich noch etwas Zeit.

Ange­kom­men ist aber das: es ist das erste Mal für mich, dass ich die Hoch­sen­si­bi­li­tät gegen­über einer “offi­zi­el­len” Stelle ange­spro­chen habe und damit anschei­nend ernst genom­men werde. Bis­her hab ich es immer nur ganz leise und vor­sich­tig erwähnt und kam mir jedes Mal vor wie Eine, die sich anstellt, die eine Aus­rede sucht für wie­der­mal irgend­was, was sie nicht kann. Als wäre es nur eine Marotte, die ich mit ein biß­chen gutem Wil­len schon in den Griff bekäme. Die Bli­cke, die ich nor­ma­ler­weise ernte, wenn ich es anspre­che, drü­cken genau das aus.
Ich hoffe sehr, dass, je mehr Akzep­tanz und Ver­ste­hen gegen­über Neu­ro­di­ver­si­tä­ten wie ADHS und Autis­mus in der Gesell­schaft ent­steht, auch die HS mit dabei ist. Immer­hin gel­ten inzwi­schen 15% bis 20% der Men­schen als hoch­sen­si­bel, das ist ja wirk­lich nicht nichts.

***

Vor eini­ger Zeit schrieb ich dies:

Ich bin hoch­sen­si­bel.
Ich bin nicht schüch­tern, nicht intro­ver­tiert, nicht zu emp­find­lich und schon gar nicht “stell ich mich an”. Ich nehme ein­fach mehr wahr als andere, spüre mehr, sehe und höre mehr. Und ich habe weni­ger Fil­ter für das alles. Das macht es schwie­rig für mich, ver­braucht Ener­gie und über­for­dert mich oft. Darum brau­che ich viel Ruhe, zieh ich mich zurück und muss immer wie­der für eine Zeit alleine sein.
Ich wünschte, ich hätte das schon frü­her gewußt und kom­mu­ni­zie­ren kön­nen, dann wäre ich viel­leicht nicht im Burn­out gelandet.

***

(Als Ent­wurf gespei­chert, ver­ges­sen und am 21.04.2025 ver­öf­fent­licht, weil es zur Chro­nik gehört)

Wir benutzen Cookies um die Nutzerfreundlichkeit der Webseite zu verbessen. Durch Deinen Besuch stimmst Du dem zu.