Vorgestern, das war wirklich der Tiefpunkt. Als hätte ich seit Wochen in einem kleinen Boot auf dem Meer gesessen und immer und immer wieder gegen den aufziehenden Sturm gekämpft und dann konnte ich nicht mehr und bin gekentert. Das Boot lag über mir, ich im kalten rauen Wasser, kein Licht mehr zu sehen, kein Ausweg. Ich war nah dran, einfach aufzugeben.
In so einem Moment kommen natürlich die ganzen depressiven Gedanken und Gefühle. Alles ist nur falsch und schlecht, ich bin falsch und schlecht, das ganze Leben ist so, war schon immer so und wird sich auch nie mehr ändern. Die absolute Hoffnungslosigkeit und gleichzeitig eine riesige Wut auf alles.
Und dann rief die Tochter an am Nachmittag. Sie, die mich einfach am besten kennt, hat es gespürt. Und sie tat, was als einziges half: sie fragte, sie erzählte so lange, bis ich antworten konnte und hörte dann zu. Sie hat das Boot nicht für mich umgedreht, aber sie reichte mir meine Ruder, die ich verloren hatte, so dass ich mich festhalten konnte.
Heute, zwei Tage und ein Jahreswechsel danach, bin ich noch immer erschöpft - nicht nur vom Kentern, sondern von allem, was überhaupt erst dazu geführt hat -, aber ich halte mich am Ruder fest, so gut es geht. Versuche, nicht unterzugehen, bis ich das Boot wieder auf die richtige Seite drehen kann. Und danach heißt es, zurück zu blicken und rauszufinden, was mich da aufs offene Meer getrieben hat - und mir vor allem zuzugestehen, dass mich da etwas so gründlich umgeworfen hat. Ich hab eine Vorstellung davon, aber das ist ein neues Thema, nicht mehr für heute.
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Interessant und spannend finde ich, dass Freundin D. in dem Text vom Freitag ganz viel Trauer spürte, während ich hauptsächlich wütend war. Da kommen in mir wieder einmal Fragen auf: zum einen, wie wir etwas lesen, wieviel unserer eigenen Gefühle und Stimmungen uns beeinflußt und interpretieren lässt - zum anderen aber auch, wieviel wir beim Schreiben überhaupt hineinlegen und ausdrücken. Habe ich z.B. meine Wut nur gefühlt, aber so gut unterdrückt, dass sie nach aussen kaum noch spürbar war? Mach ich das auch mit anderen Gefühlen? Machen wir das so und nicht nur beim schreiben?
Da mal drüber nachdenken (wie die Herren Kempowski und Buddenbohm zu sagen pflegen).
Ich fühle, dass Du bei dem Text beides ausdrückst: Wut & Trauer. Meiner Erfahrung nach sind sie Geschwister und man kann sie nicht immer klar trennen. Gesegnetes Neues Jahr trotz Allem 🍀
Danke für deine Rückmeldung! Über die Beziehung zwischen Wut und Trauer muss ich echt mal nachdenken, das hatte ich bisher nicht so im Gefühl. Vielleicht, weil Wut so einen schlechten Ruf hat.
Auch dir, euch, ein gutes neues Jahr! Auf dass ihr bald den einen Ort findet, der für euch der richtige ist.
Was Bee schreibt.
Und natürlich spüren andere nie genau das, was wir spüren.
💕
Ich glaub, ich fände es wunderbar, wenn jemand mal genau das sehen könnte, was ich sehe / spüre. Wenn ich darüber nachdenke, ist das eine Sehnsucht, die ich seit meiner Kindheit habe. Sich eins zu fühlen mit jemandem. Wie Zwillinge oder wie ein Spiegel. Es ist, als würde da immer was fehlen.
(Ich glaube, den Gedanken muss ich nochmal in einem eigenen Text verarbeiten.)