01-01-2023 Gekentert

Vor­ges­tern, das war wirk­lich der Tief­punkt. Als hätte ich seit Wochen in einem klei­nen Boot auf dem Meer geses­sen und immer und immer wie­der gegen den auf­zie­hen­den Sturm gekämpft und dann konnte ich nicht mehr und bin geken­tert. Das Boot lag über mir, ich im kal­ten rauen Was­ser, kein Licht mehr zu sehen, kein Aus­weg. Ich war nah dran, ein­fach auf­zu­ge­ben.
In so einem Moment kom­men natür­lich die gan­zen depres­si­ven Gedan­ken und Gefühle. Alles ist nur falsch und schlecht, ich bin falsch und schlecht, das ganze Leben ist so, war schon immer so und wird sich auch nie mehr ändern. Die abso­lute Hoff­nungs­lo­sig­keit und gleich­zei­tig eine rie­sige Wut auf alles.

Und dann rief die Toch­ter an am Nach­mit­tag. Sie, die mich ein­fach am bes­ten kennt, hat es gespürt. Und sie tat, was als ein­zi­ges half: sie fragte, sie erzählte so lange, bis ich ant­wor­ten konnte und hörte dann zu. Sie hat das Boot nicht für mich umge­dreht, aber sie reichte mir meine Ruder, die ich ver­lo­ren hatte, so dass ich mich fest­hal­ten konnte.

Heute, zwei Tage und ein Jah­res­wech­sel danach, bin ich noch immer erschöpft - nicht nur vom Ken­tern, son­dern von allem, was über­haupt erst dazu geführt hat -, aber ich halte mich am Ruder fest, so gut es geht. Ver­su­che, nicht unter­zu­ge­hen, bis ich das Boot wie­der auf die rich­tige Seite dre­hen kann. Und danach heißt es, zurück zu bli­cken und raus­zu­fin­den, was mich da aufs offene Meer getrie­ben hat - und mir vor allem zuzu­ge­ste­hen, dass mich da etwas so gründ­lich umge­wor­fen hat. Ich hab eine Vor­stel­lung davon, aber das ist ein neues Thema, nicht mehr für heute.

***

Inter­es­sant und span­nend finde ich, dass Freun­din D. in dem Text vom Frei­tag ganz viel Trauer spürte, wäh­rend ich haupt­säch­lich wütend war. Da kom­men in mir wie­der ein­mal Fra­gen auf: zum einen, wie wir etwas lesen, wie­viel unse­rer eige­nen Gefühle und Stim­mun­gen uns beein­flußt und inter­pre­tie­ren lässt - zum ande­ren aber auch, wie­viel wir beim Schrei­ben über­haupt hin­ein­le­gen und aus­drü­cken. Habe ich z.B. meine Wut nur gefühlt, aber so gut unter­drückt, dass sie nach aus­sen kaum noch spür­bar war? Mach ich das auch mit ande­ren Gefüh­len? Machen wir das so und nicht nur beim schrei­ben?
Da mal drü­ber nach­den­ken (wie die Her­ren Kem­pow­ski und Bud­den­bohm zu sagen pflegen).

4 Kommentare

  1. Ich fühle, dass Du bei dem Text bei­des aus­drückst: Wut & Trauer. Mei­ner Erfah­rung nach sind sie Geschwis­ter und man kann sie nicht immer klar tren­nen. Geseg­ne­tes Neues Jahr trotz Allem 🍀

    1. Danke für deine Rück­mel­dung! Über die Bezie­hung zwi­schen Wut und Trauer muss ich echt mal nach­den­ken, das hatte ich bis­her nicht so im Gefühl. Viel­leicht, weil Wut so einen schlech­ten Ruf hat.

      Auch dir, euch, ein gutes neues Jahr! Auf dass ihr bald den einen Ort fin­det, der für euch der rich­tige ist.

    1. Ich glaub, ich fände es wun­der­bar, wenn jemand mal genau das sehen könnte, was ich sehe / spüre. Wenn ich dar­über nach­denke, ist das eine Sehn­sucht, die ich seit mei­ner Kind­heit habe. Sich eins zu füh­len mit jeman­dem. Wie Zwil­linge oder wie ein Spie­gel. Es ist, als würde da immer was fehlen.
      (Ich glaube, den Gedan­ken muss ich noch­mal in einem eige­nen Text verarbeiten.)

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