Normalerweise versuche ich, meinem Körper und seinen Zickigkeiten möglichst wenig Aufmerksamkeit zu schenken. Ich bin keine Hypochonderin, die in jedem noch so kleinen Symptom irgendwas schlimmes vermutet, sondern gehe im Gegenteil davon aus, dass alles einfach wieder vorbei geht, was mal stört. Selbst die Diabetes hab ich am Anfang mehr oder weniger ignoriert. Es war ja nicht schlimm. Die relevanten Werte waren zwar erhöht, aber nicht übermäßig und nicht lebensbedrohlich. Dann nehm ich eben die Tabletten und gut ist.
Aber vom Ignorieren geht eben nichts vorbei.
Seit längerer Zeit bin ich wieder dauernd müde, abgeschlagen, tief erschöpft. Nach so einem Ausflug wie letzte Woche nach Flensburg brauche ich ewig, um die Energie wieder aufzufüllen. Ich komme nicht aus dem Bett und das hat nur zur Hälfte mit der (eben doch latent vorhandenen) Depression zu tun.
Vor ein paar Tagen hab ich dann mal wieder Tante Google gefragt, was denn die Symptome von erhöhtem Blutzucker sind (ich sollte das eigentlich wissen, aber: siehe oben. Der Körper wird am besten ignoriert.). Die Expert*innen sind sich einig:
- vermehrtes Wasserlassen ✔
- verstärktes Durstgefühl ✔
- trockene Haut und Juckreiz ✔
- Müdigkeit, Kraftlosigkeit, Erschöpfung ✔
- Sehstörungen ✔
- Muskelkrämpfe ✔
- Nervenerkrankungen ✔
- Anfälligkeit für Infektionen
- schlechte Wundheilung ✔
- Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen
- Appetitlosigkeit und rascher Gewichtsverlust (darauf warte ich ja immer noch [/Sarkasmus Ende])
Ah ja. Sehr aufschlussreich.
Die Messungen vom Blutzucker gestern und heute bestätigen natürlich, dass er zu hoch ist. Also wälze ich wieder Unterlagen, on- und offline. Welche Lebensmittel senken den BZ, welches sind nochmal die ganz schlechten (haha, als ob ich das nicht eh wüßte), was hilft überhaupt, die Werte in den Griff zu bekommen. Und stelle dabei fest: so furchtbar falsch ist das alles wirklich nicht, was ich mache. Ich esse echt richtig viel Gemüse, mittags und abends. Obst könnte mehr sein, aber das, was ich gerne mag, ist leider entweder saisonal kurz oder teuer. Kohlehydrate (Brot, Pasta, Kartoffeln, Reis) sind gar nicht so gefährlich, aber da könnte ich sicher noch sparsamer sein. Zucker und Süßes gibt es hier schon lange nur in vernünftigen Dosen und Fett hab ich inzwischen sehr reduziert. Meistens schaffe ich es beim Einkaufen, am Chips-Flips-Regal vorbei zu kommen, ohne was mitzunehmen. Ich trinke täglich wenigstens 1 Liter Wasser und nur noch ein oder zwei Becher Kaffee, manchmal sogar Tee.
Was vom Speiseplan verschwinden muss, ist das TK-Fertigessen, das ich mir eben doch manchmal - nein: wenn ich ehrlich bin zu oft mache, weil ich oft eben partout keine Lust auf kochen hab, weil ich müde bin, jetzt sofort was brauche oder das Egal-Gefühl zu groß ist. Das Schlechte an diesem Essen sind vor allem die überflüssigen Zutaten und dass die Portionen in der Regel zu groß für einmal, aber zu klein für zweimal sind. Und ich esse immer noch auf, was da ist, ich schaffe es immer noch nicht, kleine Reste zu entsorgen.
Und das ist der zweite und wichtigste Punkt: ich darf nicht so viel essen. Manchmal hilft es, wenn ich frühzeitig esse, bevor ich zu großen Hunger hab, aber auch dann ess ich fast immer zu viel. Außerdem müsste ich die allerletzte “Mahlzeit” in der Nacht weg lassen. Dieses “ich mag noch nicht ins Bett gehen, weil ich mich so einsam fühle, aber ich bin allein und unglücklich und hab deswegen ein Loch im Bauch und brauche jetzt dringend noch irgendwas, das das füllt”.
Was zu allem fehlt, ist Bewegung. Es muss ja noch nichtmal richtiger, echter Sport sein - die ein oder andere regelmäßige Sitzung auf dem Ergometer wäre ja schon ein Anfang. “Jedes kleine bißchen zählt”, sagte die Diabetesärztin. Das Rad auf dem Weg vom Schreibtisch in die Küche anzugucken, ist leider kein bißchen, sondern nichts. Ich muss da rauf. Egal wann, egal wie lang, egal wie oft - Hauptsache bewegen. Und ich hasse es. Ich hasse es abgrundtief. Ich sitze da drauf und fluche. Es ist schwer, es ist anstrengend, es lacht mich aus und am Ende wirkt es natürlich nicht, weil es so nicht wirken kann. Ich hasse das Ding.
Diese letzten drei Punkte sind die, weswegen ich die Reha beantragt habe. Die ich unter die Lupe nehmen und untersuchen muss auf das Woher und das Warum. Warum esse ich zu viel? Warum hab ich immer noch Angst, nicht genug zu bekommen? Warum stopfe ich ein Einsamkeitsloch mit Essen, obwohl das doch so überhaupt nicht hilft und ich das doch weiß? Woher kommt diese vehemente Ablehnung gegen den Gesundheitsaspekt? Wie komme ich gegen das “ist doch eh alles egal”-Gefühl an? Woher kommt der Gedanke, dass ich es doch sowieso nicht wert bin? Und warum finde ich alles, was mit Sport zu tun hat, so schrecklich?
Ich brauche keine radikale Ernährungsumstellung wie es z.B. bei einer Unverträglichkeit gegen Laktose oder Histamin der Fall wäre. Ich muss lediglich ein paar Schrauben drehen an ein paar schlechten Gewohnheiten (weniger Fertigfutter und Fett, mehr Vollkorn). Vor allem aber muss ich endlich lernen, nur so viel zu essen, wie mein Körper - und meine Psyche!! - brauchen. Bewußt zu essen, jeden Bissen. Spüren, wie es mich nährt, wie ich (!) mich nähre. Lernen, dass das das Gute ist. Dass es besser ist, mich 10 Minuten aufs Fahrrad zu setzen, als ein Butterbrot zu essen. Dass ich das nicht als Verlust sehe, sondern als Gewinn.
Nur: Selbst-Motivation oder “radikale Selbstfürsorge”, wie Freundin D. es nennt … das sind so Sachen, die kann ich eigentlich nicht, die hab ich nie gelernt. Ich wünschte, mit dem Essen und dem Sport - also mit der Selbstfürsorge - würde das noch einmal so gehen wie mit dem Rauchen aufzuhören. Das war so ziemlich das einzige Mal, dass es funktioniert hat. Dass ich was schaffen wollte, was mir extrem schwer fiel und das ich durchgehalten hab. Da hatte ich den Enkel als Grund.
Und ich frag mich immer, warum ich selbst mir nicht reiche als Grund, gut zu mir zu sein.
Ich muss lernen, dass “gesund” das gleiche ist wie “für mich”.