02-10-2022 Gedankensplitter

Das Leben ist eine Wel­len­be­we­gung. Es fließt per­ma­nent und geht dabei rauf und run­ter, vor und zurück, hin und her. Eine Bewe­gung geht in die andere über, nichts bleibt für immer. 

Für alles gibt es eine Phase. Eine zum glück­lich sein, eine für die Trauer. Eine zum Den­ken und eine zum Schrei­ben. Eine, um in die Welt zu gehen und eine, um sich zurück zu ziehen.

Ebbe und Flut, Tag und Nacht, Sturm und Flaute - und alles dazwischen.

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Freun­din D. sin­niert in ihrem Blog­ein­trag über Spra­che und Wör­ter, über Schrei­ben, Den­ken und Füh­len und erin­nert sich dabei auch an einen ande­ren, der schreibt und ich finde seins und ihres ein­fach wunderschön.

In ’Vom Ende der Ein­sam­keit’ von Bene­dict Wells sagt jemand  sinn­ge­mäß –  Jules oder Alva ver­mut­lich – dass Den­ken in Reden münde und Füh­len in Schrei­ben. Damit iden­ti­fi­zierte ich mich sofort.
Viel­leicht brau­che ich ja das Schrei­ben, um den Gefüh­len zu lau­schen, die beim Reden zu Boden fallen?

Ich denke daran, wie ich immer wie­der mei­ner The­ra­peu­tin am Ende einer Stunde danke: für den Raum, den sie mir gibt, um meine Gedan­ken und Gefühle aus­zu­spre­chen und dabei zu sor­tie­ren. Weil ich zwar (fast) stän­dig denke, aber das Ven­til des Redens brau­che, damit der Kopf nicht über­läuft.
Das Auf­schrei­ben danach ver­bin­det alles und ist gleich­zei­tig die abschlie­ßende Über­prü­fung, ob es sich wirk­lich rich­tig anfühlt. Erst wenn der Gedanke durch die­sen Pro­zess gegan­gen und auf­ge­schrie­ben ist, hat er Bestand. 

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Einer die­ser Gedan­ken:
Schon immer war ich Eine, die aus­hält. Die nicht kämpft, die hin nimmt und sich ins Schick­sal fügt. Jeden Ver­such, mich als Kind gegen Unge­rech­tig­keit oder Miss­ach­tung zu weh­ren, musste ich bit­ter bezah­len mit Schlä­gen oder Lie­bes­ent­zug. Ich habe meine Lek­tion gründ­lich gelernt. “Willst du jetzt wie­der lieb sein?” war die Frage nach so einem Auf­be­geh­ren, die ich natür­lich nie­mals mit “nein” beant­wor­tet hätte: schließ­lich wollte ich zwar gese­hen, aber ja auch geliebt wer­den. Also habe ich irgend­wann geschwie­gen, hin genom­men, aus­ge­hal­ten – und alleine gelit­ten.
Ich habe aus­ge­hal­ten, wenn etwas kaputt oder schief ging und nicht ersetzt wer­den konnte: die Jeans, die schlechte Note, die Freund­schaft, die Liebe. Ich hatte eben Pech gehabt oder war selbst Schuld, da ließ sich nichts ändern. Hätte ich doch bes­ser auf­ge­passt. Hätte ich doch frü­her was gesagt. Hätte ich doch mehr gekämpft. (Wäre ich doch anders gewesen.)

Ich will nicht mehr aus­hal­ten. Ich bin alt, aber nicht zu alt, um noch etwas zu ändern. 

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Immer öfter gelingt es mir jetzt, an die Ver­gan­gen­heit zu den­ken, ohne trau­rig zu sein und ohne mein Leben als eine Reihe von ver­pass­ten Chan­cen zu sehen. Nicht alles von dem, was mich frü­her schon aus­machte, ist vor­bei. Ich bin in vie­lem noch immer die, die ich immer war. Und viel mehr als frü­her habe ich jetzt die Gele­gen­heit und die Muße, zu tun, was ich liebte und liebe:
Die Ruhe des Sonn­tags genie­ßen. Bei offe­ner Bal­kon­tür in der Herbst­sonne am Schreib­tisch sit­zen, schrei­ben und dabei zum nicht gezähl­ten Male die Lieb­lings­mu­sik hören. Lesen, die Natur in mei­nen Fotos bewah­ren, mit allen Sin­nen wahr­neh­men, was Schö­nes um mich herum ist. Mich mei­nen Gedan­ken hin­ge­ben. Nicht mehr mehr tun, als ich muss, weil ich denke, dass das von mir erwar­tet wird. Und mich anneh­men, wie ich bin und auch sein will und mich nicht mehr anpas­sen, weil ich sonst nicht geliebt werde: das auch.

Viel­leicht wird es in die­sem Jahr das erste Mal seit so lan­ger Zeit sein, dass mich der Geburts­tag des einst gelieb­ten Man­nes nicht mehr so unend­lich trau­rig macht und ins Strau­cheln bringt wie sonst immer. Viel­leicht ist jetzt end­lich die Zeit, wirk­lich einen Strich unter die­sen Bruch zu zie­hen und diese Liebe “nur noch” als einen zwar prä­gen­den, aber ver­gan­ge­nen Teil mei­nes Lebens zu sehen.

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