Das Leben ist eine Wellenbewegung. Es fließt permanent und geht dabei rauf und runter, vor und zurück, hin und her. Eine Bewegung geht in die andere über, nichts bleibt für immer.
Für alles gibt es eine Phase. Eine zum glücklich sein, eine für die Trauer. Eine zum Denken und eine zum Schreiben. Eine, um in die Welt zu gehen und eine, um sich zurück zu ziehen.
Ebbe und Flut, Tag und Nacht, Sturm und Flaute - und alles dazwischen.
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Freundin D. sinniert in ihrem Blogeintrag über Sprache und Wörter, über Schreiben, Denken und Fühlen und erinnert sich dabei auch an einen anderen, der schreibt und ich finde seins und ihres einfach wunderschön.
In ’Vom Ende der Einsamkeit’ von Benedict Wells sagt jemand sinngemäß – Jules oder Alva vermutlich – dass Denken in Reden münde und Fühlen in Schreiben. Damit identifizierte ich mich sofort.
Vielleicht brauche ich ja das Schreiben, um den Gefühlen zu lauschen, die beim Reden zu Boden fallen?
Ich denke daran, wie ich immer wieder meiner Therapeutin am Ende einer Stunde danke: für den Raum, den sie mir gibt, um meine Gedanken und Gefühle auszusprechen und dabei zu sortieren. Weil ich zwar (fast) ständig denke, aber das Ventil des Redens brauche, damit der Kopf nicht überläuft.
Das Aufschreiben danach verbindet alles und ist gleichzeitig die abschließende Überprüfung, ob es sich wirklich richtig anfühlt. Erst wenn der Gedanke durch diesen Prozess gegangen und aufgeschrieben ist, hat er Bestand.
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Einer dieser Gedanken:
Schon immer war ich Eine, die aushält. Die nicht kämpft, die hin nimmt und sich ins Schicksal fügt. Jeden Versuch, mich als Kind gegen Ungerechtigkeit oder Missachtung zu wehren, musste ich bitter bezahlen mit Schlägen oder Liebesentzug. Ich habe meine Lektion gründlich gelernt. “Willst du jetzt wieder lieb sein?” war die Frage nach so einem Aufbegehren, die ich natürlich niemals mit “nein” beantwortet hätte: schließlich wollte ich zwar gesehen, aber ja auch geliebt werden. Also habe ich irgendwann geschwiegen, hin genommen, ausgehalten – und alleine gelitten.
Ich habe ausgehalten, wenn etwas kaputt oder schief ging und nicht ersetzt werden konnte: die Jeans, die schlechte Note, die Freundschaft, die Liebe. Ich hatte eben Pech gehabt oder war selbst Schuld, da ließ sich nichts ändern. Hätte ich doch besser aufgepasst. Hätte ich doch früher was gesagt. Hätte ich doch mehr gekämpft. (Wäre ich doch anders gewesen.)
Ich will nicht mehr aushalten. Ich bin alt, aber nicht zu alt, um noch etwas zu ändern.
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Immer öfter gelingt es mir jetzt, an die Vergangenheit zu denken, ohne traurig zu sein und ohne mein Leben als eine Reihe von verpassten Chancen zu sehen. Nicht alles von dem, was mich früher schon ausmachte, ist vorbei. Ich bin in vielem noch immer die, die ich immer war. Und viel mehr als früher habe ich jetzt die Gelegenheit und die Muße, zu tun, was ich liebte und liebe:
Die Ruhe des Sonntags genießen. Bei offener Balkontür in der Herbstsonne am Schreibtisch sitzen, schreiben und dabei zum nicht gezählten Male die Lieblingsmusik hören. Lesen, die Natur in meinen Fotos bewahren, mit allen Sinnen wahrnehmen, was Schönes um mich herum ist. Mich meinen Gedanken hingeben. Nicht mehr mehr tun, als ich muss, weil ich denke, dass das von mir erwartet wird. Und mich annehmen, wie ich bin und auch sein will und mich nicht mehr anpassen, weil ich sonst nicht geliebt werde: das auch.
Vielleicht wird es in diesem Jahr das erste Mal seit so langer Zeit sein, dass mich der Geburtstag des einst geliebten Mannes nicht mehr so unendlich traurig macht und ins Straucheln bringt wie sonst immer. Vielleicht ist jetzt endlich die Zeit, wirklich einen Strich unter diesen Bruch zu ziehen und diese Liebe “nur noch” als einen zwar prägenden, aber vergangenen Teil meines Lebens zu sehen.
Ja. Möge endlich diese Zeit sein für diesen Strich. Ja. Da spüre ich Frieden mit dem, was war, was ist und kommt. Leisen Frieden. Das freut mich sehr.
Noch sehr leise, aber ja. (Los lassen ist so unendlich schwer. Sogar Dinge, die weh tun.)
<345