Die letzten Nächte waren wieder voll von anstrengenden Träumen. Ich finde meinen Weg nicht, verpasse alle möglichen Züge, kämpfe gegen mein (inneres) Kind … es ist sehr mühsam und ich wache müde auf.
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Anstrengend war auch mein Geburtstag am Sonntag. So viele gesprochene und geschriebene Worte auf diversen Wegen, so viel Aufmerksamkeit. Mit so vielen Menschen kommuniziere ich sonst in einem ganzen Monat nicht wie an diesem einen Tag. Das war schön, aber die totale Überdosis.
Am Nachmittag war dann auch die Tochterfamilie zum Geburtstagskaffee hier. Das war noch schöner und wärmte die Seele sehr, aber irgendwann war ich auch froh, als sie wieder weg waren. Drei Menschen mit ADS auf einem Haufen sind - bei aller Liebe - für eine HSP wie mich echt anstrengend. Andererseits bin ich mit meiner relativen Strukturlosigkeit für die drei vermutlich auch nicht so einfach auszuhalten.
Vorgestern hab ich dann abends noch zwei Stunden mit der großen Schwester in NZ geskyped und war gestern troz allem auch in der Mittwochsgruppe, aber jetzt ist mir doch sehr nach ein paar Tagen alleine mit Kuscheldecke und warmer Musik in meinem Schneckenhäuschen. Nur tun, was gut ist für mich. Und wert schätzen, dass ich das darf und inzwischen auch kann.
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Bei den ganzen Wünschen zu meinem Geburtstag wurden mir zwei Dinge sehr bewußt:
das eine ist, dass mir die “gesunden” Menschen in meinem Umfeld immer noch und immer wieder solche Sachen wünschen wie alles Gute, viel Licht und dass ich schöne Momente genießen kann, dass es sogar (!) Freude in meinem Leben gibt und vor allem, dass es mir doch bitte bald / irgendwann / vielleicht eines Tages endlich mal besser gehen möge und ich gesund und glücklich werde. Ich weiß, dass das lieb gemeint ist und ich verstehe die Intension dahinter, aber ich würde mir wünschen, dass von diesen Menschen mal jemand mich versteht oder es wenigstens versucht.
Ich würde mir wünschen, dass sie so wie ich akzeptieren, dass ich nicht mehr “gesund” werde. Dass es aber nicht schlimm ist, dass die Depression bei mir bleiben wird, vermutlich für immer. Man muss mir nicht wünschen, davon geheilt zu werden, weil das im besten Fall eh nicht geht und im schlechteren Fall mich nur unter Druck setzt. Es wäre mir so viel lieber, man:frau würde nicht um das Thema drum rum eiern, sondern es ganz selbstverständlich benennen. Dass es auch in den Wünschen mehr um das Leben mit der Krankheit ginge, um das Weitergehen auch in dunklen Zeiten, um Kraft zum Durch- und Aushalten.
Oder um ganz profane Dinge, denn auch mein Leben dreht sich nicht ausnahmslos nur um Krankheit(en). Warum wünscht mir eigentlich nie jemand viel Geld, körperliche Gesundheit, neue Freund:innen, einen Urlaub am Meer? Das wär doch mal was. 😉
Das zweite ist: dieses “glücklich sein”, was da gewünscht wird, ist für mich kein erstrebenswertes Ziel mehr. Darum geht es nicht mehr. “Don’t worry, be happy”? Nein danke. Diese aufgesetzte Glückseligkeit, die alles Schwere nur verdrängt, die dunkle Tage sofort umwandeln muss, die mit dem Dauerlächeln übermalen muss, dass das Leben oft ziemlich beschissen ist und dass es vor allem darauf ankommt, da irgendwie durch zu kommen … ich brauch das nicht, ich will das auch gar nicht. Niemand kann dauernd glücklich sein und ich glaube auch nicht, dass das gesund ist. Es braucht Tag und Nacht, Sonne und Regen, dunkel und hell. Ohne das eine gäbe es das andere nicht und beides ist wichtig und gut.
Ganz abgesehen von ihrer Notwendigkeit als Gegensatz haben die dunklen Tage auch ihren Reiz, weil sie - bei mir - oft sehr intensiv im Fühlen sind. Wenn ich nur happy bin, kann ich zum Beispiel nicht schreiben. Am meisten bei mir selbst bin ich, wenn ich sentimental und traurig bin, weil das meiner Natur entspricht. Ja, Sonne ist geil und diese Herbstfarben im Oktober erst recht, aber viel mehr Gänsehaut macht mir z.B. ein alter Song, der mich an frühere Zeiten erinnert und den ich stundenlang auf Repeat hören kann.
Ich kann nicht immer nur tanzen und lachen, ich muss auch sitzen und schauen und still sein und manchmal weinen. Ich brauche beides, immer. Und ich wünschte mir, das wäre normal.
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Die Natur kann das wie so oft viel besser als wir. Da gibt es eine Zeit zum wachsen und blühen und mitten im Leben sein und danach eine Zeit für Ruhe und inne halten, vergehen und neu werden. Beides muss sein, das eine geht nicht ohne das andere. Und beides kann wunderschön sein.
“Ich kann nicht immer nur tanzen und lachen, ich muss auch sitzen und schauen und still sein und manchmal weinen. Ich brauche beides, immer.” ..
Das ist ein wundervoller Gedanke. Danke dafür!
Deine Gedanken, ja, das unterschreibe ich groß. Es war mir bisher gar nicht so bewusst, wie sehr auch bei mir dieses Melancholischsein dazu gehören muss. Wahre Worte, Danke!
Oh ja, da erkenne ich ziemlich viel von mir in Deinen Worten wieder. Zum Beispiel:
»Das zweite ist: dieses “glücklich sein”, was da gewünscht wird, ist für mich kein erstrebenswertes Ziel mehr. Darum geht es nicht mehr.«
Hab ich für mich auch schon festgestellt und mich dazu entschieden, mehr für meine, ganz allein meine (!) Zufriedenheit zu tun.