05-09-2023 Third Place

Vor ein paar Tagen ver­öf­fent­lichte Gabriel Yoran einen Essay mit dem Titel “Sie haben jetzt auch Cold Brew in Ber­lin” und erzählt darin von sei­nem third place: einem “Ort, der nicht das Zuhause und nicht die Arbeit ist”. Abge­se­hen davon, dass es viel zu viele berüh­rende wun­der­schöne Stel­len darin gibt, als dass ich nur eine davon als Zitat raus­pflü­cken könnte (und davon, dass ich einen klei­nen Fan­girl Moment auf Mast­o­don hatte, weil Yoran aus­g­rech­net mei­nen Kom­men­tar repos­tet hat), fiel mir beim Lesen auf, wie sehr ich mir immer so einen “drit­ten Ort” gewünscht habe, ohne es wirk­lich zu wissen.

Einen Ort zum sit­zen, den­ken, gucken, schrei­ben (und guten Kaf­fee trin­ken). An dem ich erkannt werde, ohne dass man mich kennt. Der zu einer lie­ben Gewohn­heit wird, zum Leben dazu gehört, ohne _zu_ wich­tig zu sein. An den zu kom­men sich gut und rich­tig anfühlt.
Als Stu­den­tin hab ich eine Weile von so einem Ort geträumt, ihn aber doch nie gesucht und schon gar nicht gefun­den. Mitte der 80er war ich bei mei­ner Schwes­ter in Ber­lin zu Besuch und saß mehr­mals am Vor­mit­tag die taz lesend im “Schwar­zen Café”, von dem ich in der taz gele­sen hatte. Das fühlte sich unglaub­lich intel­lek­tu­ell an, aber auch selt­sam falsch, deplat­ziert. Nicht, dass ich mich für unge­bil­det oder unwis­send hal­ten würde, aber um dem Bild des intel­lek­tu­el­len Café-Sitzers zu ent­spre­chen, gab es bei mir als Allein­er­zie­hende und Allein­ver­die­nende ein­fach zu viel pro­fa­nen All­tag. Mit einem Klein­kind sitzt es sich nicht so wirk­lich gut und ent­spannt in einem Café unter lau­ter Den­kern und Schrei­bern. Viel­leicht hab ich des­halb die­sen Traum vergessen.

Ich hab dann jetzt mal geguckt auf der Google Map, aber in mei­ner Umge­bung (so ein third place darf nicht all zu weit von Zuhause weg sein, finde ich) gibt es kei­nen Ort, den ich dafür erklä­ren könnte. Sie sind zu klein, zu groß, zu hip, zu vegan, zu kalt oder zu schlecht. Und sie sind inzwi­schen zu teuer für mich. Das ver­klei­nert lei­der auch die Chance, an einem neuen Wohn­ort noch ein­mal einen guten third place zu fin­den. Schade eigent­lich: ich würde das mit dem intel­lek­tu­el­len Gefühl doch gerne noch­mal probieren.

2 Kommentare

  1. Moin, dass ist die kleine Kneipe, das kleine Café ums Eck. 

    Wo man seine Nach­ba­rIn­nen traf, die mit denen man nicht viel redet und die meis­ten Gäste vom sehen kennt, weil sie auch fast immer da sind. Das zweite Wohn­zim­mer sozu­sa­gen. Klingt natür­lich nicht so hipp wie the third room. 🙂

    Die gibt es nur noch in Rest­be­stän­den und dann als Kneipe. Als Café kenne ich auch kein ein­zi­ges mehr, aus den von Dir genann­ten Grün­den. “zu hip, zu vegan, zu kalt oder zu schlecht und sie sind inzwi­schen zu teuer”. Der öffent­li­che Raum ist dem tota­len Kon­sum gewi­chen. Ent­spre­chend sind natür­lich auch die Men­schen die in die­sen Cafes ihre Hafer­milch trin­ken vom Barista kunst­voll zube­rei­te­ten Boh­nen­ge­tränk für 4,50 Euro die Tasse. Müs­sen sie ver­mut­lich auch neh­men, weil die Mie­ten so exor­bi­tant in die Höhe geschos­sen sind. Da kann Frau nicht mehr sit­zen und den hal­ben Tag an einer Kaf­fee­tasse rum­schlür­fen. Die Läden wür­den pleite gehen. Wie damals die Frau­en­kneipe. Das war ein Wohn­zim­mer. Aber den gan­zen Abend an zwei Geträn­ken nuckeln, bringt kei­nen Umsatz und die Mie­ten stei­gen unab­hän­gig von die­ser Tatsache. 

    Ich sehe vor mei­nem Auge ein grie­chi­sche Taverne, natür­lich mit Blick auf den Hafen, wo die alten Män­ner Tavli spie­lend den gan­zen Tag sit­zen. Die Frauen waren dort natür­lich nicht…die haben sich wei­ter­hin um den Haus­halt und die Fami­lie gekümmert.
    Frank­reich, die klei­nen Cafes wo sich die Inter­lek­tu­el­len tref­fen - habe sehr geschmun­zelt über deine rea­li­täts­nahe Beschrei­bung einer allein­er­zie­hen­den Mut­ter- aber es müs­sen dann arme Inter­lek­tu­elle sein, sonst gilt wie­der “zu teuer, zu hipp”.
    Na und ums Eck ist Grie­chen­land und Frank­reich ja auch nicht (oder Por­tu­gal, oder Irland oder oder)

    Es gibt bei mir in der Nähe ein Café wo man tat­säch­lich sit­zen könnte. Im Som­mer sogar drau­ßen- vorne an der Straße- nicht allzu laut. Preise sind nicht ganz so hoch, aber immer noch zu teuer für das all­täg­li­che Da-sein. https://www.why-not-integration.org/ Aber innen ist es mir als Hör­ge­rä­te­trä­ge­rin zu laut. Zumal dort dann auch Kin­der mit dabei sind, die in der Regel nichts vom ruhi­gen gepfleg­ten Zei­tungs­le­sen halten.
    Und was ist mit: https://www.mathilde-hh.de/mathilde-bar-eimsb%C3%BCttel/
    zu spät ver­mute ich und mehr Kneipe, als Café und viel­leicht auch schon zu hipp.

    Jetzt sind unsere Kin­der groß, wir sind wie­der “frei”, und nun fehlt uns das Geld und die Ört­lich­keit. Par­odie des Lebens.

    1. Ja, nein. 😀
      “Zwei­tes Wohn­zim­mer” ist mir per­sön­lich zu nah, zu pri­vat. “Third place” ist ja grade weder Zuhause noch Arbeit, son­dern das dazwi­schen. Und den Begriff hat Yoran wohl aus Ame­rika mit­ge­bracht, von daher passt der schon. Also für mich jedenfalls.
      Ansons­ten: ja. Die Gesell­schaft hat sich ver­än­dert, selbst rum­sit­zen im Café muss was brin­gen und sei es diese neu auf­ge­legte “Acht­sam­keit”. Kos­tet alles viel Geld.
      Wo du Grie­chen­land siehst, bin ich natür­lich in Por­tu­gal, wo man sich mor­gens in sei­nem Stamm­café zur schnel­len ers­ten bica trifft und am Mit­tag zum Sand­wich. In mei­ner Vor­stel­lung ist so ein third place aber nur ein Café, keine Kneipe. Kneipe ist abends und gesel­lig. Aber viel­leicht ist das wich­tigste daran, dass es über­haupt einen sol­chen Ort gibt.

      Mat­hilde ist zu weit weg, ich würde da zu Fuß hin­ge­hen wol­len. Bei mir in der Nähe gibt es das Café Esto­ril, das hab ich ges­tern ver­ges­sen. Das könnte tau­gen, wenn ich bes­ser in die­ses Drau­ßen käme.
      (Viel­leicht suche ich mir den nächs­ten Wohn­ort unter die­sem Kriterium?)

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