Vor ein paar Tagen veröffentlichte Gabriel Yoran einen Essay mit dem Titel “Sie haben jetzt auch Cold Brew in Berlin” und erzählt darin von seinem third place: einem “Ort, der nicht das Zuhause und nicht die Arbeit ist”. Abgesehen davon, dass es viel zu viele berührende wunderschöne Stellen darin gibt, als dass ich nur eine davon als Zitat rauspflücken könnte (und davon, dass ich einen kleinen Fangirl Moment auf Mastodon hatte, weil Yoran ausgrechnet meinen Kommentar repostet hat), fiel mir beim Lesen auf, wie sehr ich mir immer so einen “dritten Ort” gewünscht habe, ohne es wirklich zu wissen.
Einen Ort zum sitzen, denken, gucken, schreiben (und guten Kaffee trinken). An dem ich erkannt werde, ohne dass man mich kennt. Der zu einer lieben Gewohnheit wird, zum Leben dazu gehört, ohne _zu_ wichtig zu sein. An den zu kommen sich gut und richtig anfühlt.
Als Studentin hab ich eine Weile von so einem Ort geträumt, ihn aber doch nie gesucht und schon gar nicht gefunden. Mitte der 80er war ich bei meiner Schwester in Berlin zu Besuch und saß mehrmals am Vormittag die taz lesend im “Schwarzen Café”, von dem ich in der taz gelesen hatte. Das fühlte sich unglaublich intellektuell an, aber auch seltsam falsch, deplatziert. Nicht, dass ich mich für ungebildet oder unwissend halten würde, aber um dem Bild des intellektuellen Café-Sitzers zu entsprechen, gab es bei mir als Alleinerziehende und Alleinverdienende einfach zu viel profanen Alltag. Mit einem Kleinkind sitzt es sich nicht so wirklich gut und entspannt in einem Café unter lauter Denkern und Schreibern. Vielleicht hab ich deshalb diesen Traum vergessen.
Ich hab dann jetzt mal geguckt auf der Google Map, aber in meiner Umgebung (so ein third place darf nicht all zu weit von Zuhause weg sein, finde ich) gibt es keinen Ort, den ich dafür erklären könnte. Sie sind zu klein, zu groß, zu hip, zu vegan, zu kalt oder zu schlecht. Und sie sind inzwischen zu teuer für mich. Das verkleinert leider auch die Chance, an einem neuen Wohnort noch einmal einen guten third place zu finden. Schade eigentlich: ich würde das mit dem intellektuellen Gefühl doch gerne nochmal probieren.
Moin, dass ist die kleine Kneipe, das kleine Café ums Eck.
Wo man seine NachbarInnen traf, die mit denen man nicht viel redet und die meisten Gäste vom sehen kennt, weil sie auch fast immer da sind. Das zweite Wohnzimmer sozusagen. Klingt natürlich nicht so hipp wie the third room. 🙂
Die gibt es nur noch in Restbeständen und dann als Kneipe. Als Café kenne ich auch kein einziges mehr, aus den von Dir genannten Gründen. “zu hip, zu vegan, zu kalt oder zu schlecht und sie sind inzwischen zu teuer”. Der öffentliche Raum ist dem totalen Konsum gewichen. Entsprechend sind natürlich auch die Menschen die in diesen Cafes ihre Hafermilch trinken vom Barista kunstvoll zubereiteten Bohnengetränk für 4,50 Euro die Tasse. Müssen sie vermutlich auch nehmen, weil die Mieten so exorbitant in die Höhe geschossen sind. Da kann Frau nicht mehr sitzen und den halben Tag an einer Kaffeetasse rumschlürfen. Die Läden würden pleite gehen. Wie damals die Frauenkneipe. Das war ein Wohnzimmer. Aber den ganzen Abend an zwei Getränken nuckeln, bringt keinen Umsatz und die Mieten steigen unabhängig von dieser Tatsache.
Ich sehe vor meinem Auge ein griechische Taverne, natürlich mit Blick auf den Hafen, wo die alten Männer Tavli spielend den ganzen Tag sitzen. Die Frauen waren dort natürlich nicht…die haben sich weiterhin um den Haushalt und die Familie gekümmert.
Frankreich, die kleinen Cafes wo sich die Interlektuellen treffen - habe sehr geschmunzelt über deine realitätsnahe Beschreibung einer alleinerziehenden Mutter- aber es müssen dann arme Interlektuelle sein, sonst gilt wieder “zu teuer, zu hipp”.
Na und ums Eck ist Griechenland und Frankreich ja auch nicht (oder Portugal, oder Irland oder oder)
Es gibt bei mir in der Nähe ein Café wo man tatsächlich sitzen könnte. Im Sommer sogar draußen- vorne an der Straße- nicht allzu laut. Preise sind nicht ganz so hoch, aber immer noch zu teuer für das alltägliche Da-sein. https://www.why-not-integration.org/ Aber innen ist es mir als Hörgeräteträgerin zu laut. Zumal dort dann auch Kinder mit dabei sind, die in der Regel nichts vom ruhigen gepflegten Zeitungslesen halten.
Und was ist mit: https://www.mathilde-hh.de/mathilde-bar-eimsb%C3%BCttel/
zu spät vermute ich und mehr Kneipe, als Café und vielleicht auch schon zu hipp.
Jetzt sind unsere Kinder groß, wir sind wieder “frei”, und nun fehlt uns das Geld und die Örtlichkeit. Parodie des Lebens.
Ja, nein. 😀
“Zweites Wohnzimmer” ist mir persönlich zu nah, zu privat. “Third place” ist ja grade weder Zuhause noch Arbeit, sondern das dazwischen. Und den Begriff hat Yoran wohl aus Amerika mitgebracht, von daher passt der schon. Also für mich jedenfalls.
Ansonsten: ja. Die Gesellschaft hat sich verändert, selbst rumsitzen im Café muss was bringen und sei es diese neu aufgelegte “Achtsamkeit”. Kostet alles viel Geld.
Wo du Griechenland siehst, bin ich natürlich in Portugal, wo man sich morgens in seinem Stammcafé zur schnellen ersten bica trifft und am Mittag zum Sandwich. In meiner Vorstellung ist so ein third place aber nur ein Café, keine Kneipe. Kneipe ist abends und gesellig. Aber vielleicht ist das wichtigste daran, dass es überhaupt einen solchen Ort gibt.
Mathilde ist zu weit weg, ich würde da zu Fuß hingehen wollen. Bei mir in der Nähe gibt es das Café Estoril, das hab ich gestern vergessen. Das könnte taugen, wenn ich besser in dieses Draußen käme.
(Vielleicht suche ich mir den nächsten Wohnort unter diesem Kriterium?)