Ich bin genervt von mir selbst. Eigentlich hatte ich mir für heute mal wieder - wenn schon alle Termine weg sind - einen richtigen Frei-Tag vorgenommen. So wie im Sommer oft: lange schlafen, gemütlich frühstücken, Musik hören, treiben lassen. Nichts muss, alles darf.
Und eigentlich dachte ich auch, dass ich die Aufregung der Woche mal bewußt wahrnehmen und dann genauso bewußt los lassen kann, damit es weiter geht mit allem, was zu tun ist. Der Kopf will aber nicht, der drückt das weg mit “das war doch nichts schlimmes, mach doch kein Ding draus” und zählt mir dann auf, was alles auf der Liste steht. So kann ich nicht entspannen, nicht los lassen, mich aber auch nicht motivieren, wirklich was von der Liste zu tun. Also prokrastiniere ich ohne Ende, lese viel zu viele nervige Nachrichten, photoshoppe Fotos, gucke Kochvideos - und bin unzufrieden und genervt und geändert hat sich nichts.
Ich möchte weg von allem. Keine Nachrichten, keine Probleme, nicht immer so viel neues oben drauf, wo das alte unten noch gar nicht fertig ist. Ich fühle mich gehetzt und bewegungsunfähig gleichzeitig.
Meine Nachbarin hat Corona. Langsam dringt es in mein Bewußtsein. Jetzt ist es nichts mehr, was nur in diesem Internet und irgendwo da draußen vorkommt. Mir war immer klar, dass das Virus und seine Auswirkungen real sind, aber es gab bis jetzt immer eine Grenze zwischen mir und dem Schrecklichen, es war nur theoretisch für mich. Wenn ich es nicht mehr ertragen konnte, hab ich die Nachrichten ausgestellt.
Jetzt hat es Eine getroffen, die ich zwar nicht gut, aber doch kenne. Es ist nicht nur die Cousine von der Tochter der Freundin der Kollegin. Es ist ins Haus eingedrungen, nah an meinen schützenden Ort, nur eine Wand ist zwischen uns. Ja, das macht mir Angst.
Es ist ähnlich wie mein Gefühl beim Fahrrad fahren nach dem Unfall: ich sitze angespannt auf dem Rad, ich habe meine Augen ständig überall, um nur ja niemanden zu übersehen, der_die mir wieder in die Quere kommen könnte. Das macht unsicher, ich habe wirklich Angst zu fallen. Das Selbstverständnis ist weg, so wie das nur theoretische an Corona weg ist. Es ist schwer, zur Normalität zu gehen und so zu tun, als wäre da nichts. Maske auf und weiter machen. Aber es kann jederzeit jede_n treffen, weil keine_r weiß, was oder wer kommt. Die Eine, die nicht nach hinten schaut und die Autotür aufmacht. Der Eine, der in der U-Bahn direkt hinter mir sitzt und denkt, der Husten sei eine normale Erkältung. Die Joggerin, die gestern auf der geheimen Party war und heute die Aerosole in einer langen Bahn hinter sich zieht und du läufst mitten rein, ohne es zu wissen.
Ich bin emotional noch relativ gelassen, weil ich die Nachbarin kaum kenne (sie wohnt erst seit dem Frühjahr hier und war bisher meistens weg). Aber ich will nicht erleben müssen, dass es eine_n von meinen Liebsten erwischt. Ja, das Ding macht mir Angst.
Ich möchte weg von allem. Keine Nachrichten, keine Probleme, keine Krankheiten. Nicht noch mehr obendrauf, solange ich noch dabei bin, die alten Sachen auszumisten. Es ist zu viel.