Herbst, jetzt doch. Am Tag strahlende Sonne, die die Wärme aber nur noch vorgaukelt und sich schon früh am Abend verzieht. Kälte, die von den Füßen hinauf kriecht und sich nachts wie eine Decke über alles legt. Die große Platane vor meinem Balkon hält wie jedes Jahr standhaft ihre grünen Blätter fest, aber die Linden rundherum färben die ihren jetzt täglich mehr von den Baumkronen aus nach unten.
Ich gebe nach und stelle das erste Mal die Heizung an.
Der Ausflug am Freitag war seltsam, in schnellem, mehrmaligem Wechsel doof und schön. Für den Botanischen Garten war ich zu spät dran, also holte ich mir meine neue 4-Wochen-Karte und fuhr zum Baumwall. Bei den ersten Schritten merkte ich schon, dass ein Zehennagel eine ganz blöde Ecke hat und am Nachbarzeh scheuert. So würde ich nicht weit kommen. Also setzte ich mich an die nächste Treppe und zog Schuh und Strumpf aus und natürlich war der Zeh schon blutig. War ja klar, immerhin hatte ich am Tag vorher meine Tasche aufgeräumt und das uralte Notfallpflaster weggeworfen und nicht ersetzt. Ein Stück Tempo half dann aber, so dass ich weiter gehen konnte.
Mein erstes Ziel war die Deichstrasse mit den wunderschönen alten Häusern, die ich erst einmal vor einigen Jahren bewußt gesehen hatte. Ich wollte so gerne Fotos machen davon, aber in praktisch jedem der Häuser ist irgendeine Gastronomie drin und natürlich stehen Tische draußen und sind bei dem Wetter gut besetzt. Entsprechend gab es fast nur Fotos entweder abgeschnitten ohne die sehenswerten Haustüren oder eben mit Menschen drauf. Hinterher hab ich außerdem entdeckt, dass die hinteren Fassaden noch schöner sind, wofür ich aber zu einer der Brücken über den Nikolaifleet hätte gehen müssen, was ich nicht wußte.
Statt dessen bin ich dann über den Holzsteg rüber zur Speicherstadt und weiter zur Elbphilharmonie gelaufen, weil ich die spontane Idee hatte, auf die Plaza hoch zu fahren und von dort Fotos zu machen und den Sonnenuntergang zu sehen. Zum Glück gab es unten keine Schlange und der Zugang ist sogar kostenlos (das mal merken! ;-), aber oben waren dann doch recht viele Leute - zwar mit MNS, aber doch etwas drängelig - und vor allem war vor der “schönen” Seite Richtung Westen ein Netz in Kopfhöhe angebracht (wg. Bauarbeiten?), das das Fotografieren sehr behindert hat. Trotzdem saß ich eine Weile auf der Steinbank in der Sonne und war für den Moment ganz zufrieden: dass ich etwas gefunden hatte, um den vorherigen Frust auszugleichen. Dass ich da inmitten der Menschen sitzen konnte und nicht sofort geflüchtet bin. Dass ich kein Geld dafür zahlen musste. Dass ich wirklich unterwegs war, wie ich es mir vorgenommen hatte.
Später gab es unten doch noch ein paar nette Fotomotive und eine schöne Abendstimmung. Was ich immer wieder ganz wunderbar finde ist, dass ich mit der normalen Fahrkarte auch mit der Hafenfähre fahren kann: das ist so viel mehr als einfach nur ein Verkehrsmittel, auch wenn es nur eine kurze Fahrt ist von der Elbphilharmonie zu den Landungsbrücken. Außerdem spart es mir natürlich auch einigen Fußweg.
Dass ich so einen Ausflug dann aber jedes verdammte Mal mit mindestens einem, meistens aber zwei Schmerztagen und totaler Erschöpfung bezahlen muss, ist einfach nur scheisse.
Alles in Allem war es okay. Trotzdem bin ich enttäuscht irgendwie. Weil es eben doch nicht so war wie erhofft. Weil die Fotos mit der tollen Kamera so wenig toll geworden sind und mir zeigen, dass eine gute Ausrüstung eben nicht reicht. Weil ich eben doch nur Mittelmaß bin und ohne die blöden Hashtags auf Instagram niemals von mehr als den 5 engsten Freund:innen gesehen werden würde, weil ich eh blöd bin und immer alleine und grade die schlimmste Zeit des Jahres bevor steht und hallo Igor, du dummes Mistvieh, da bist du ja wieder.
Und dazu passt eben auch das Gedicht meines Großvaters, das mir seit ein paar Tagen im Kopf rum schwirrt und aus dem die Titelzeile stammt.
Abschied
Schwankt wie irr im Wind der letzten Blumen Flor,
peitscht der Regen fruchtbeladene Äste -
Ach, verraucht sind schon des Sommers Feste!
Zum verdunkelten Gewölb emporhebst du deine Blicke: Wolken ziehen,
windzerfetzten, grauen Segeln gleich,
durch des Himmels stürmenden Bereich.
Eilig, allzu eilend will entfliehenkurzer Freuden trügerischer Schein.
Wenn die letzten heiteren Gäste gehen,
bleibst du wieder nur mit dir alleinund mit deines Herzens ruheloser Pein.
Wilhelm Luetjens - Waage des Lebens
Am verschlossenen Tor des Gartens wirst du stehen
und ins sternenlose Dunkel sehen…