Gedanken auf dem Weg zur und in der Therapie:
Meine normale Grundstimmung / Grundhaltung ist schon seit immer im Minus. Ich erwarte immer (und hab es ja auch oft genug so erlebt), dass etwas schief geht, passiert, nicht klappt, einfach nicht gut ist. Wenn doch was Positives geschieht, dann ist das ein Ausreißer, der nicht bleibt. Danach fällt es immer zurück ins normal-negativ. Es war noch nie andersrum: dass ich positiv grundgestimmt bin und dann halt mal was Doofes kommt, was gelöst wird und dann geht es weiter.
Aber: so blöd das Leben auch war, es durfte in der Familie nicht gejammert, sich nicht beschwert werden. Erstens war es ja eh nicht zu ändern und zweitens gab es immer jemanden, dem:der es noch schlechter ging, was einem automatisch das Recht auf die Klage nahm.
Du kriegst das Kotzen, wenn du zum vierten Mal in einer Woche trockene Kartoffeln und pampigen Quark zum Mittag bekommst? Jammer nicht, iss auf und denk an die Kinder in Afrika, die hungern die ganze Zeit. Du musst ewig die Klamotten der Schwestern auftragen und bekommst nie was hübsches, eigenes, womit du in der Schule nicht auffällst? Beschwer dich nicht, andere haben noch weniger als du. Du willst eigentlich gar nicht Flöte lernen, aufs Gymnasium gehen, mit deinen Schwestern in einem Zimmer hausen, den Meerschweinkäfig sauber machen, wasauchimmer? Heul nicht, das ist eben so. Du hast ein Problem und es geht dir schlecht? Pech für dich, jemand anderem geht es noch schlechter und es kann sich nun wirklich keiner auch noch um deine Wehwehchen kümmern.
Wenn ich wegen etwas wütend wurde und mich doch beschwert hab, gab es Schläge vom Vater und später (als er weg war) Ärger mit der Mutter oder mit der Schule. “Ulrike ist aufsässig”, hieß es ständig. Weil ich eben nicht aufgegeben und alles hingenommen habe. Und trotzdem (?) ist da immer und immer wieder diese Stimme in meinem Kopf, die alles nieder macht. Die weder zulässt, dass es mir gut geht noch mir erlaubt, mich zu beklagen. “Stell dich nicht so an.” Bis heute ist das der Satz, den ich in meinem Leben vermutlich am häufigsten zu hören bekommen habe - von anderen oder eben von dieser Stimme in mir.
So wie ich gelernt habe, Igor zu verstehen, möchte ich der Stimme auf die Spur kommen. Wozu brauche ich sie? Was will sie mir sagen? Warum lässt sie mich nicht in Ruhe? Oder kann ich sie nicht los lassen, weil sie so gewohnt ist und weil ich eigentlich nie gelernt habe, mir wirklich zu vertrauen? Weil es leichter ist, auf dem ausgetretenen Weg zu bleiben, auch wenn ich da dauernd stolpere, nur weil der andere Weg unbekannt ist und deshalb Angst macht?
Meine Eltern sind schon so lange tot, aber sie leben mit dieser Stimmer immer noch in mir weiter. Es wird wirklich allerhöchste Zeit, mich davon zu verabschieden. Ich weiß nur noch nicht, wie.