Die letzten Nächte waren wieder lang, beim Einschlafen war es schon hell und die Vögel alle wach. Dann ist der Schlaf unruhig, die Träume besonders seltsam und der Tag schon halb vorbei, wenn ich aufstehe.
Ich weiß, dass mir Igor das nicht wirklich gut tut, aber das passiert schon immer vor allem dann, wenn ich Musik (wieder) finde, die mich nicht los lässt, die mich - vorzugsweise eben nachts - so trifft, dass ich sie wieder und wieder und wieder hören und mich irgendwann nach der ungefähr 157sten Wiederholung mit Gewalt zwingen muss, den Player auszustellen.
Das muss kein außergewöhnliches Stück sein, es muss nur mitten rein treffen in Herz und Seele und die aktuelle Stimmung, ich bin da ganz einfach gestrickt. Im Moment ist das ein Song von Genesis von einem Album, das ich letztens wahllos angeklickt habe, weil ich dem Mist vom Obernachbarn was entgegen setzen musste, um nicht durchzudrehen. Eigentlich müsste ich ihm dafür sogar dankbar sein, aber ach nein, so weit geht es dann doch nicht.
Jedenfalls ist das etwas, das mich … ja, glücklich macht. Es macht auch traurig und sehnsüchtig und sentimental und melancholisch und sagte ich schon sehnsüchtig?, aber irgendwie auch glücklich. Sowas wie in dem Satz von Victor Hugo, den vermutlich nur versteht, wem es ebenso geht.
Melancholie ist das Vergnügen, traurig zu sein.
Aber neben diesen Momenten des seltsamen Glücks ist da in letzter Zeit so oft eine Leere in mir. Gefühle, die versickern, weil niemand sie teilt. Gedanken, die nicht weiter gehen, weil sie kein Echo finden. Weil da außer der Freundin in der Ferne niemand mehr ist, der zuhört, mitdenkt, weiterredet. Weil das Aufschreiben oft so mühsam ist und Kraft verbraucht, die einfach nicht da ist und erst recht nicht dafür, im Offline neue Menschen zu finden, die mir näher sind als nur für ein nettes Treffen in der Woche.
Dass diese Kraft so furchtbar wenig geworden ist, obwohl es mir doch eigentlich nicht soo schlecht geht, das macht es nicht besser. Ich bin 61 und am Ende. Da ist zwar noch viel Wollen in mir, aber kein Mut mehr. Woher sollte die Kraft dann auch kommen?
Gestern hab ich in einem Blog einer neuen Followerin *) gestöbert und ein paar Einträge zu einer Reise nach Lissabon gefunden. In Gedanken war ich sofort dort, lief durch die Gassen und fuhr mit der Straßenbahn, sah alle die Orte vor mir und hatte diesen ganz speziellen Geruch in der Nase.
Sie hatte eine Wohnung an einer der belebten Straßen in der Baixa gemietet, “auf der Touristen flanieren, Straßenmusikanten auftreten und Cafébetreiber Stühle und Tische aufgestellt haben.” und ich fragte mich einen Moment lang, wie es mir heute damit gehen würde. Ob ich das aushalten würde, einfach weil es Urlaub wäre und mein Herzensort, an dem es mir gut geht, weil ich die Sorgen für eine Zeitlang zuhause lassen kann.
Und dann denke ich weiter: liegt es vielleicht gar nicht an dem Ort, dieser Straße, diesen Menschen hier, dass es mir nicht gut geht? Bin das alles “einfach nur” ich? Könnte ich das Leben hier besser verkraften, wenn es mir besser ginge?
Andererseits erinnere ich mich gut daran, dass ich in meinen Urlauben schon immer froh war, dass die von mir gemieteten Wohnungen und Häuser ruhig lagen und ich mich abends vom Trubel des Tages erholen konnte. Das ging nur einfacher damals und schneller.
(Ja, ich suche immer noch nach Gründen, nicht umziehen zu müssen. Ich weiß es doch.)
*) Herzlich Willkommen auf meinem Blog an dieser Stelle - den neuen und auch den alten Abonnent:innen! Und auch hier nochmal der Dank an Christian: es ist mir eine Ehre, als “Satz des Tages” auf deiner Seite genannt zu werden.
💜💙❤️