Wie klingt eigentlich der Dezember auf der anderen Seite der Welt, da, wo jetzt Sommer ist? Ich muss mal meine große Schwester fragen. Hier klingt er jedenfalls nach Kälte und Endzeitstimmung, nach “lasst mich alle in Ruhe” und wo finde ich eigentlich die Anzeigen für die Winterschlafhöhlen?
Es hat ein kleines bißchen geschneit vorgestern und dank der Kälte nicht gleich wieder getaut wie sonst. Jetzt liegt es da, das komische kalte weiße Zeug, aber in so geringer Menge, dass es bei weitem nicht ausreicht, um die häßliche Baustelle gegenüber zu verstecken und schon gar nicht, um die ganze Welt zu verhüllen. Es ist nur grade so viel, dass ich auch von drinnen nicht vergesse, dass es Dezember ist.
Dafür wäre es jetzt gut, wenn ich dieses Weihnachtsding könnte. Dann würde ich jetzt Kerzen anzünden und es würde nach Tannenzweigen riechen und der Backofen wäre im Dauerbetrieb und würde die Wohnung mitheizen und noch mehr guten Duft verbreiten mit den Kindheitskeksen. Dann wäre mir vielleicht warm. So sitze ich mit dicker Strickjacke und doppelten Socken am Schreibtisch und friere doch, außen und innen.
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In der letzten Mittwochsgruppe sprachen wir darüber, wie es ist, wenn wir kein Feedback bekommen für das, was wir tun und wer wir sind. Wie instabil Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl sind, wenn da kein Gegenüber ist, das uns einen Zusammenhang bietet.
Wie kann ich mich auf mein eigenes Gefühl verlassen, wenn ich keinen Vergleich habe? Geht es anderen auch so wie mir oder bin ich alleine? Sind 25x25 Meter Schwimmen viel oder eher nicht, hab ich zurecht Muskelkater oder stell ich mich an? Kommen anderen Menschen auch die Tränen, wenn sie meine Gedichte lesen? Kann ich wirklich, was ich kann oder rede ich mir das nur ein? Bin nur ich so ambivalent in meinen Wünschen und Träumen oder sind es wirklich fast alle anderen auch, wie die Therapeutin sagte?
Ich brauche einen Spiegel, um mich meiner Existenz zu versichern, um mich sicher zu fühlen mit mir und in Verbindung zu anderen. Ohne Spiegel bin ich allein. Wenn ich mich in meiner Scheu vor fremden Menschen zurückziehe von den Menschen, nehme ich mir selbst die Möglichkeit, gespiegelt zu werden. Wenn ich hier im Blog die Kommentare ausstelle, weil ich keine Mitleidsbekundungen will, nehme ich mir die Chance auf Feedback und Austausch. Wenn ich mich nicht zeige (und öffne), werde ich nicht gesehen.
(Ab jetzt bleiben die Kommentare hier offen.)
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Ich brauche etwas zu tun. Ich kann nicht nur hier sitzen und irgendwelches sinnloses Zeug machen, nur um mich zu beschäftigen, bis ich wieder schlafen gehen kann. Ich möchte etwas “produzieren”, das einen Wert hat. Keinen finanziellen Wert im Sinn von bezahlt werden (das geht sowieso nur entweder schwarz oder es wird wieder abgezogen vom H4), aber auch nicht nur ideell. Irgendwas handfestes, das man sehen und benutzen kann. Und für das ich Anerkennung bekomme.
(Vielleicht schreib ich das mal auf Twitter. Also wenn es mir irgendwann mal gut genug geht, um aufschreiben zu können, was ich kann. Um mir selbst zu glauben, dass ich was kann. Ich weiß ja nicht, ob ich was kann, ich hab ja kein Feedback.)
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Und trotzdem: am liebsten würde ich schlafen bis zum nächsten Frühjahr.
Meine Liebe, ich fühle dich, ich fühle mit dir. Was auch immer ich hier schreiben würde, dass du dies und das kannst, und zwar ganz wunderbar: Würdest du es mir glauben, obwohl du es dir nicht glauben kannst? Wie sehr wünschte ich mir, dass du es tief innen drin endlich weißt: Wie wertvoll du bist.
“Das gemischte #PGExplaining-Postkartenset ist ein günstiges Geschenk, das zehnmal Freude macht, zehnmal bestärkt, zehnmal zum Lachen bringt, zehnmal sagt: Du bildest dir das nicht ein, und du bist damit nicht allein,” schrieb neulich Frau Frohmann.
Mir gefällt vor allem der letzte Satz. Wir sind nicht allein mit unserem So-Sein und wir bilden es uns auch nicht ein. Und das So-Sein, das ist genau das, was es ist: So zu sein mit all dem, was drückt, was weh tut, was uns das Gefühl gibt, wertlos zu sein, undundund …
Ich bin auch immer froh, wenn der Dezember vorbei ist.
Ach, könnte ich dir doch diese Last bloß abnehmen.
Meine Liebe, ich will gar nicht, dass du mir die Last abnimmst. Niemand soll die tragen, es ist doch meine. <3
Und zum anderen: es geht nicht darum, ob ich wertvoll bin oder nicht, sondern darum, mich einzuschätzen und auch mal zu vergleichen (ohne zu werten!). Ich mag kein Konkurrenzdenken, keinen Wettkampf, aber ich will einen Platz haben zwischen allen anderen. Theoretisch weiß ich auch, dass ich nicht alleine bin, aber wenn ich mich nicht öffne, sehe ich die anderen nicht. Und wenn sie nicht mit mir reden, auch nicht.
Damit meine ich ausdrücklich nicht dich, denn wir reden ja. Und ja, natürlich glaube ich dir, aber Aussagen von Menschen, die mich mit dem Herzen sehen, sind sowieso aussen vor. Und so wichtig die Anerkennung und Zuneigung von ihnen (dir, der Tochter …) ist: ihr seid einfach zu subjektiv und manchmal reicht das nicht.
Ha, Meikes Text habe ich auch gelesen und genau diese Stelle hat mir auch gut getan. Super, wie du das zu machen gedenkst.
Ich gratuliere zum Mut.
Brava!
Danke, meine Liebe!