Heute morgen bin ich mal wieder mit einem steifen und schmerzenden Knie aufgewacht. Ich dachte, ich hätte es nach der letzten langen Periode im Griff und es wäre jetzt erstmal wieder gut. Aber wenn ich nicht dauerhaft irgendwas Richtung Sport oder wenigstens Bewegung mache, ist da gar nichts gut. Die Arthrose wird nicht mehr weg gehen, ich kann nur versuchen, die Ausbreitung zu verlangsamen und die Schmerzen zu lindern. Und ich weiß: alles, was jetzt neu oder erneut an körperlichen Beschwerden kommt, wird nicht wieder weggehen. Ich werde damit irgendwie leben müssen.
Als ich mich wieder ins Bett kuschelte (es war noch reichlich früh heute morgen), kam mir wie so oft mein Mantra der letzten ein, zwei Jahre in den Sinn: “Ich muss ja nichts”. Ich hab ein steifes Knie und kann nicht gut laufen - aber ich muss ja nicht. Immer noch ist mir schnell alles zu viel und mehr als zwei Termine am Tag stressen mich - aber ich muss ja nichts. Ich kann mich einfach wieder umdrehen und bis Mittag im Bett bleiben - ich muss ja nichts.
Aber was ist das für ein Leben, wenn da nichts ist, was ich muss? Ich meine nicht den Stress von früher, den Spagat zwischen Arbeit und Kind, die vielen Überstunden im Büro, das Geldverdienen als Alleinerziehende, das Gerechtwerden der eigenen Ansprüche und denen von anderen usw. Es ist gut, dass das vorbei ist. Aber so gar nichts? Wie lange kann das funktionieren? Wie lange kann ich ohne wirklichen Sinn leben? Und wie lange geht das, wenn der Körper nicht mehr mitmacht? Ich kann nicht die nächsten (die letzten!) zehn, zwanzig Jahre damit verbringen, nur in der Wohnung zu sitzen, zu lesen, Musik zu hören, irgendwelche Spielchen zu daddeln, nachzudenken und meiner Familie zur Last zu fallen. So große Angst ich auch habe vor dem Tod und dem Sterben: das wäre kein Leben für mich.
Was also kann ich vorbeugend tun? Ich wäre gerne aktiv, aber Aktivität stresst mich. Ich hätte gerne Verbindlichkeit, kann sie selbst aber nicht leisten. Ich wäre gerne mit anderen Menschen zusammen, aber ich mag viele Menschen nicht und fühle mich unwohl, wenn es zu viele sind.
Ich möchte so gerne irgendwas und hab so viele Bedenken.
Die Depression hat mich so weit aus meinem alten Leben geworfen. Zwar hab ich mich mehr oder weniger befreit von ihr, aber ich finde keinen neuen Weg, der mir wirklich passt. Und inzwischen bin ich so eingeschränkt, dass zu vieles gar nicht mehr möglich ist. Ich weiß grade nicht, wie und wohin es geht.
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Vor kurzem gelesen und für passend gefunden:
Wenn ich nur darf, wenn ich soll, aber nie kann, wenn ich will, dann mag ich auch nicht, wenn ich muss. Wenn ich aber darf, wenn ich will, dann mag ich auch, wenn ich soll, und dann kann ich auch, wenn ich muss.
(Dr. Heinz Schirp, Professor für Neurowissenschaften und Lernen)
Denn schließlich ist es doch so: Die können sollen, müssen auch wollen dürfen.