Kurz nachgetragen:
***
Im April den 12. Geburtstag vom besten Enkel der Welt gefeiert. Soo ein toller Junge! Witzig, klug, phantasievoll, anmutig, sensibel und mit so viel Gefühl.
Und so große Schwierigkeiten in der Schule, weil er mit all seinem Anders-Sein nicht wirklich akzeptiert und unterstützt wird. Dazu ein Schulsystem, das kein Wiederholen einer Klasse mehr erlaubt, Kinder aber aufgrund einer schlechten Note in einem Fach abstufen und dann an eine völlig beliebige Schule irgendwo im großen Stadtgebiet stecken darf. Ich möchte abwechselnd kotzen und nochmal auf die Barrikaden gehen.
***
Es gab eine Frage von Martin Gommel auf Twitter zum Thema Sport, auf die ich antworten will und statt dessen innerhalb kürzester Zeit tief in meiner Vergangenheit & in Tränen aufgelöst bin. Ich mach seit 12 Jahren intensiv Therapie und denk, ich weiß alles, aber es findet sich immer wieder ein neues Minenfeld. Da muss ich dann wohl auch nochmal ran.
Aber ich geh wieder schwimmen einmal in der Woche! Mit viel Widerwillen, aber ich zieh das jetzt durch. Und auf den Ergometer find ich auch wieder zurück, doch, bestimmt. Versprochen.
***
So langsam gewöhne ich mich daran, dass ich mehrmals in der Woche mit Bahn&Bus unterwegs bin. Eigentlich ist es sogar ganz nett, wieder draußen zu sein, was anderes zu sehen und vor allem natürlich die Menschen beim Hilfe-Dings zu treffen (und nebenbei meine uralte Heimat Ottensen wieder zu entdecken, wohin sie ja umgezogen sind).
Seit Mai gibt es nun auch das Deutschlandticket, für das ich als Bürgergeldempfängerin nur 19 Euro im Monat zahle und mit dem ich überall hin und vor allem jederzeit fahren kann. Ich nutze es noch nicht viel, weil das Wetter so lange einfach mies war, aber dass ich z.B. nach der Mittwochsgruppe einfach mal mit dem Bus nach Övelgönne fahren, dort bleiben, solange ich will und dann von da aus mit der Fähre über die Elbe zurück zu den Landungsbrücken schippern kann, ist einfach Gold wert. Auf meiner Liste stehen noch viele Orte, an die ich gerne will; ich hoffe, ich krieg das dann auch hin.
***
Dann war da aber leider noch Igor, der sich ja schon seit längerem nicht mehr blicken ließ und sich dann doch nach einem sehr schönen Mittwoch (s.o.) einfach wieder mit in meine Wohnung geschlichen und seine Koffer ausgepackt hat. Da hinein stopfte er dann meine Freude, meine Kraft und meinen sowieso nur rudimentär vorhandenen Optimismus. Dauernd stand da wieder die Frage nach dem “Wozu” im Raum und ich fand keine Antwort und ehrlich, ich hasse das so sehr. Ich weiß, dass es nicht “echt” ist, dass es Igor ist und kein Dauerzustand, aber es fühlt sich jedes Mal so an, als könnte ich rein gar nichts bewirken. Ich kann immer nur aushalten und abwarten, bis es ihm zu blöd wird und er sich langsam von meinen Schultern löst. Natürlich habe ich einige sog. “Ressourcen”, die gegen ihn helfen, aber in der ersten Zeit seines Besuchs kann ich die einfach nicht einsetzen. Bin wie gelähmt, bin hilflos und machtlos. Ich kann nichts Positives denken, wenn ich ein einziges NEIN bin. Das ist ein bißchen wie bei Little Britain, wo es immer heißt “Computer sagt Nein”, nur dass es bei mir eben Igor ist.
Aber natürlich geht es irgendwann wieder vorbei wie immer und ich kann das dumme Hundevieh immer mehr ignorieren, bis es sich verzieht. Ich gerate nicht mehr Panik, aber schön ist das nicht.
***
Aber: es wurde ein “Ich stelle einen Reha-Antrag”-Beschluß gefasst. Ich kann so auf Dauer nicht weiter machen, dieser Kreislauf aus Depression - Fressanfälle - Übergewicht - Schmerzen in Beinen, Füßen, Rücken - Mut- und Hoffnungslosigkeit - Depression etc. nimmt mir zuviel. Es braucht natürlich wie immer viel Zeit und Überzeugung, bis ich mir erlaube zu sagen, dass ich Hilfe brauche. Dazu beigetragen hat etwas, das auf der Webseite der Klinik steht, in die ich gerne gehen würde:
Das ist das Gesetz: Jeder, der sozialversichert ist, hat das Recht auf eine Rehabilitation. Genauer gesagt, auf notwendige Rehabilitationsmaßnahmen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Gesundheit und Leistungsfähigkeit. Ob Krankheit oder Behinderung – Hauptsache, die Rehabilitation verspricht Erfolg! Egal, ob für Senioren, Erwachsene, Jugendliche oder Kinder.
https://www.strandklinik-spo.de/ihr-weg-zur-reha
Ich darf Leistungen in Anspruch nehmen, die meiner Gesundheit und meinem Wohlbefinden dienen, obwohl ich der Gesellschaft nicht mehr mit Arbeit zur Verfügung stehe. Ich habe ein Recht darauf, dass es mir körperlich und seelisch gut geht, egal aus welchen Gründen - selbst- oder fremdverschuldet - ich krank bin. Ich vergesse das nur zu oft.
***
Und damit bin ich wieder im Heute angekommen, bzw. im Gestern, als ich das hier an Freundin D. schrieb:
Wie es mir geht? Besch…eiden. Mit dem schönen Wetter kommt meine Verzweiflung bezüglich des Lärms zurück. Es ist nicht nur der Baulärm von so vielen Seiten (der mich auch heute morgen um 8 geweckt hat), sondern eigentlich alles vor meiner geöffneten Balkontür. Die Autofahrer:innen, die hier durch rasen, nachdem die Sperrung nun aufgehoben ist und die Straße wieder in beide Richtungen befahren werden kann. Die, die mit laufendem Motor stehen und auf irgendwas warten. Die, die dabei die Musik aufdrehen wie in der Disco. Die, die aus ihren SUVs keinen Blick haben und darum ein Warnsignal beim rückwärts fahren brauchen, das dann ewig piept, weil sie eben wegen der eingeschränkten Sicht nur langsam fahren können. Die, die ihre Karre so bescheiden abstellen, dass niemand mehr durch kommt und wie blöd gehupt wird. Genauso auf die Nerven gehen die vielen Menschen mit ihrem dauernden Geplapper, Gegacker, Geschrei in einer Lautstärke, die keine Grenze mehr kennt.
Es ist eine permanente Kakophonie von Geräuschen, die sich wie Metallsplitter auf meine Nerven legt und andauernd reibt, sticht, weh tut. Mein Rücken tut extrem weh von der Anspannung, die es braucht, das auszuhalten. Und ich habe keine Lösung dafür.
Ich kann nicht andauernd weg gehen, den ganzen Tag bis nachts außer Haus verbringen, so lange, wie der größte Lärm dauert. Ich will (abgesehen von meinen Terminen) zuhause sein können, an meinem sicheren Ort, an dem ich alles habe, was ich brauche. Ich möchte meine Balkontür aufmachen und die Sonne rein lassen und die Sommerluft spüren, weil es mir gut tut und Igor vertreibt. Ich kann aber nicht den ganzen Sommer über jeden Tag stundenlang mit Kopfhörern oder Ohrstöpseln hier sitzen — nicht nur wegen dem Tinnitus, der dann noch lauter als sonst piepst. Ich fühle mich darunter abgeschottet, ausgeschaltet und unsicher, ich hab Angst, dass ich eine eventuelle Gefahr nicht mitbekomme. Ich weiß, das ist eigentlich Quatsch, was soll mir schon passieren in meiner eigenen Wohnung? Aber wann sind solche Ängste schon wirklich real?
Ich weiß nicht, wie ich mich an diese Geräusche wieder gewöhnen kann. Mir graust vor dem Sommer, jetzt schon. Ich fühle mich hilflos und ausgeliefert. Und nebenbei ist das natürlich die Stimmung, die Igor besonders liebt.
Ich wäre so gerne mutig genug, einfach z.B. nach Flensburg oder irgendwo in die Pampa zu ziehen. Oder wenigstens an den Rand von Hamburg, weit weg von allem. Ich mag ja eh keine Menschen und bin lieber allein. Aber einkaufen muss ich trotzdem und zum Arzt und zur Tochter; es muss also Verkehrsanbindung geben, denn auf Füße und Fahrrad kann ich mich nicht verlassen. Da bin ich also schon wieder eingeschränkt. Aber ich trau mich eh nicht, mich mit dem blöden Hartz 4 auf eine Wohnung zu bewerben. Eine Schufa-Auskunft wollen die meisten Vermieter:innen auch haben, die kostet nochmal viel Geld. Dann lass ich es doch lieber gleich und bleibe hier und halte aus und jammer und suche wieder und verzweifle und und und.
Ich weiß keine Lösung.
Kennt nicht jemand jemanden, der:die eine Gartenlaube zum Wohnen hat oder eine Hütte im Wald oder ein Haus, das gehütet werden muss? Schenkt mir jemand Geld, so dass ich verreisen kann? *seufz*
***
So oder ähnlich klingt das übrigens auf meinem Balkon an einem Samstagabend in unserem “Szene-Eck”. In der Hauptstraße nebenan war zwar Fest und damit auch mehr Besucher unterwegs, aber die Kneipen und Restaurants sind auch sonst bei so schönem Wetter wie gestern bis zum letzten Platz gefüllt.
Danke fürs Erzählen.
💕
((( ❤️ )))