Ende September hatte ich den üblichen vierteljährlichen Termin in meiner Diabetespraxis. Da war der Blutzucker so hoch, dass sie mir zusätzlich zu dem üblichen Medikament auch noch Insulin verordnet hat, das ich nun jeden Abend spritze. So wie ich es verstanden hab, produziert mein Körper zwar Insulin, verwertet es aber nicht vernünftig - “die Bauchspeicheldrüse ist im Burnout”, sagte jemand. Deshalb gibt es jetzt halt einen Schub von außen dazu.
Angefangen hab ich mit 10 Einheiten, drei Wochen später sollte ich auf 20 Einheiten erhöhen, danach nochmal auf 26. Ich vertrag das Zeug gut, die Spritzen stören mich auch nicht wirklich, auch wenn die Vorstellung, das jetzt absolut jeden Abend machen zu müssen, im Moment noch befremdlich ist. Aber die Tabletten schlucke ich ja auch seit über 9 Jahren zweimal täglich.
Gestern hab ich wieder mit dem Diabetes-Doc telefoniert, um die letzten BZ-Werte von der täglichen Messung durchzugeben. Das ist alles einfach nicht wirklich gut. Es schwankt zwischen viel zu hoch und “naja, immerhin stimmt die Richtung”, aber ich seh auch noch kein Muster, wie ich die Werte konsequent beeinflussen kann. Mal macht sich ein abendlicher Freßanfall (den es nicht so oft, aber leider eben doch manchmal gibt) deutlich bemerkbar, mal nicht. Letzte Woche war ich nach der Doppelimpfung eineinhalb Tage krank und hab so gut wie nichts gegessen, aber ausgerechnet danach schoß der BZ nach oben wie nix gutes. Nicht zu essen bringt also auch nichts (außer einem Kilo weniger auf der Waage).
In der nächsten Zeit soll ich jetzt die Insulineinheiten weiter schrittweise erhöhen (bis max. 50 Einheiten) und gucken, ob es besser wird. Anfang Dezember hab ich wieder Termin in der Praxis, da sehen wir dann weiter.
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In letzter Zeit denke ich oft: ich hätte die Krankheit viel ernster nehmen und viel früher das Ding mit Ernährung und Bewegung angehen sollen. Aber da waren immer die Depression und all die anderen Kisten aus der Vergangenheit, an denen ich noch zuerst zu arbeiten hatte und die Blutzuckerwerte waren ja am Anfang auch gar nicht soo schlimm. Ich dachte immer, solange ich nicht zunehme, ist es schon irgendwie okay, aber das war halt ein Trugschluss. Ich hab zwar nicht zu-, sondern sogar abgenommen seitdem (wenn auch lange nicht genug), aber die Diabetes ist ja nicht weg gegangen deswegen. Jetzt ist es eben noch schwerer, dagegen anzugehen, weil die Werte inzwischen so viel höher sind und sich bereits Auswirkungen an anderen Stellen zeigen.
Aber das “wäre - wenn” nützt ja auch nix. Ist jetzt eben so. Ich wünschte nur, es würde nicht so sehr meinen Alltag, mein Leben bestimmen, wie es das grade tut. Denn, ja, ich hab Angst, dass meine Zeit absehbar ist, wenn sich nichts ändert. Dass der Körper das irgendwann (bald?) nicht mehr mitmacht.
Die Nerven in den Füßen und Beinen sind ja schon kaputt und stören nicht nur, sondern sind zum Teil auch schmerzhaft. Ich weiß nicht, wie sich das weiter entwickelt und was das noch für Folgen hat. Das große Damoklesschwert mit der Amputation wird ja immer gerne geschwungen, aber eher im Zusammenhang mit offenen Wunden, die man nicht spürt, weil die Nerven kaputt sind und die dann zur Sepsis führen. Das muss nicht sein, aber so eine blöde Angst ist eben doch da. Genauso die Angst vor Schlaganfall oder Herzinfarkt. Einfach mitten im Alltag umzukippen und niemand merkt es. Natürlich hab ich meine Mutter vor Augen, der genau das passiert ist und die drei Monate später gestorben ist. Ich will das nicht. Jetzt, wo ich die Depression endlich im Griff hab, will ich nicht gehen.
Und dann muss ich mich fragen, warum ich nicht hier sitze und Fragebögen ausfülle und Termine mache, damit ich Hilfe bekomme beim Kampf mit der Krankheit. Warum verdammt ich nicht schon längst in der Klinik bin. Warum boykottiere ich mich immer wieder selbst? Wenn das Essen Selbstfürsorge war und ist, warum ist dann das richtig essen nicht auch genau das, wenn es doch besser ist für mich? Warum wehre ich mich so sehr gegen alles, was mir gut tun würde?
Ich finde die Antwort nicht. Ich sehe den Sinn nicht, den es anscheinend irgendwo in einer merkwürdigen Ecke in mir ergibt. Ich weiß, dass ich gerne hätte, dass jemand anders das für mich macht. So ein Kindergedanke, weil ich es nicht schaffe. Aber da ist niemand mehr, da war auch nie wirklich jemand. Noch weiter mit den Füßen zu strampeln, aus Trotz und Trauer darüber, dass ich es alleine schaffen muss, mich aus dem Sumpf zu ziehen, bringt mich nur noch mehr rein, aber niemals raus. Und da unten sieht und hört mich dann erst recht niemand. Warum also tu ich es nicht, wenn ich doch leben will?
Meine derzeitige Lage im Leben…
Grüße von Sonja
Du hast auch Diabetes? Oder suchst eine Klinik? Du darfst gerne mehr schreiben, wenn du magst.
Oh, das fühlt sich wie ein Teufelskreis an. Wie schwer es doch ist, Gewohnheiten zu durchbrechen – und Gewohnheiten sind ja oft sehr nahe am destruktiven Suchtverhalten. Ja, scheixxe-schwer ist das. Ich glaube dennoch, dass du es schaffen kannst.
Irgendwo hängt es vielleicht mit dem Ich-muss-das-allein-schaffen-Gedanken zusammen? Dieses Sich-selbst-Genügen ist ja auch noch eine Baustelle und über allem die Selbstliebe, die sich nicht einfach anhexen lässt. Eine Selbsthilfegruppe könnte helfen? Du musst es ja nicht allein tun.
Weißt du was? Du hast schon soooo viel geschafft und verarbeitet. Ich glaube, dass du auch in diesem Punkt weiterkommen kannst. (Ich will aber keineswegs Druck aufbauen. Nur sagen, dass ich es dir zutraue! Dir zuliebe,)
Ja. Nein. Ich fürchte, es geht noch viel tiefer als “einfach nur” Gewohnheit und dass ich es wie immer alleine machen muss. Ich fürchte, ich muss da in Abgründe, die noch viel tiefer sind als alles, was zur Depression führte. Hätte ich es sonst nicht längst in den Therapien geschafft oder wenigstens erkannt?
Danke, dass du an mich glaubst, wenn ich es nicht kann! <3
Ja, auch bei mir: Langzeitzuckerwert zu hoch für nur Metformin. Mal sehen, was da als nächstes kommt.
(Herzinfarkt – leichten – hatte ich schon, und seither hab ich auch Stents …)
Ach Mist. Ich hoffe das Beste für uns, was bleibt sonst übrig? Passen wir auf uns auf.