(nachgetragen am 19.12.2020, für die korrekte Chronologie eingefügt ins eigentliche Datum)
Da stand so einiges auf dem Plan für diesen Tag. Treffen in real mit Frau R., danach zur Bücherhalle - meinen Ausweis verlängern (ob ich im kommenden Jahr mal mehr lesen werde?) und einen Gutschein für den Enkel, der seinen ersten eigenen bekommen wird -, ein paar Sachen einkaufen (Mandeln! Sonst wird das nix mit den Apfelsinenschnitten, die ich ja auch Frau S. am Donnerstag mitbringen will) und dann noch schnell zum Friseur.
Ja, ich gestehe, ich habe ganz kurzfristig noch einen Termin gemacht, nachdem der “Lock“dowm verkündet wurde. Ich bin Eine von denen, über die lauthals geschimpft wurde auf Twitter. Und ich hatte kein schlechtes Gewissen dabei. Weil ich schon längst hingehen wollte. Weil die viel zu langen Haare einfach nur noch gestört haben. Weil es für mein Wohlbefinden wichtig ist, mich äußerlich nicht noch schlechter zu fühlen, als ich es sowieso mache. Weil meine Hochsensibilität vor allem nachts Alarm schlägt, wenn irgendwo Haare auf der Haut liegen, wo sie nicht hingehören.
Aber eigentlich bin ich auch niemandem eine Erklärung schuldig. Jetzt sind sie wieder kurz, nerven nicht mehr, mir gehts besser: das ist die Hauptsache und tut niemandem weh.
Und dann ging ich nach dem Friseur noch eben zur Bank. Musste einen Moment an der Tür warten, weil nur 2 Personen auf einmal im Vorraum sein sollen und in der Ecke noch eine Frau stand und in ihren Taschen kramte. Irgendwann war sie fertig damit und wollte nach draußen. Blieb vor mir stehen, guckte mich an und sagte “Hallo Ulrike”. Ich hab sie zuerst nicht erkannt, weil sie mit Mütze, Schal und MNS fast ganz vermummt war, aber dann drang die Stimme in meine Erinnerung und das war also die Begegnung, die ich seit über acht Jahren erwartet und befürchtet hatte: meine alte Chefin. Aus dem Stand Herzklopfen und Fluchtgedanken. Nur weg, nur nicht reden. Ich hab dann nur erwidert “ach, C. du bist es” und bin weiter in die Bank rein zum Automaten. Als ich raus kam, stand sie da immer noch mit ihrem Fahrrad und sah aus, als wolle sie was sagen. Ich bin allerdings wortlos in die andere Richtung gegangen.
Die Gespräche fanden dann in meinem Kopf statt. “Wie gehts dir denn?” - “Danke, muss ja.” - “Und, arbeitest du wieder?” - “Nein, dafür habt ihr mich verbrannt.”
Noch immer würde ich ihr das gerne ins Gesicht spucken. Wie unfassbar mies sie mich behandelt haben. Wie sehr mein Selbstbewußtsein unter ihrer Missachtung gelitten hat. Wie kaputt ich war von der Arbeit, die sie mir mit einem Schulterzucken aufgebürdet haben. Wie ich zerbrochen bin an all dem. Und dass ich auch heute noch, nach so langer Zeit, immer wieder davon träume.
Es darf geraten werden, wovon meine Träume in der folgenden Nacht handelten.
Aber ich bin auch zufrieden mit mir: weil ich sie ignoriert habe und einfach meines Weges gegangen bin. Weil ich ihr nichts schulde, nicht einmal den kleinsten Smalltalk auf dem Gehweg vor der Bank. Und wenn ich ihr das nächste Mal begegne irgendwo im Viertel, in dem wir nunmal beide wohnen, wird mir das vielleicht, hoffentlich noch leichter fallen. Und eines Tages werden auch die Träume aufhören, bestimmt.