(fertig geschrieben und nachgeschoben am 30.09.2022)
Beim letzten Besuch in der Diabetespraxis wurde richtig Blut abgenommen, um mal wieder mehr als nur den Blutzucker zu messen. Dabei zeigten sich erhöhte Fettwerte in der Leber; die Ärztinnen klangen besorgt und dringend und verschrieben ein zweites Medikament zur Regulierung des Cholesterins. Seitdem kämpfe ich immer wieder gegen die aufsteigende Panik, dass mich das gleiche Schicksal wie meine Mutter trifft. Ich schrieb es neulich schon: ich bin jetzt genauso alt wie sie damals war, als sie innerhalb von zwei Tagen mehrere Schlaganfälle bekam, an deren Folgen sie drei Monate später - mit knapp 63 - starb.
Ich will das nicht, das ist zu früh, ich bin doch noch gar nicht fertig hier! Ich möchte meinen Enkel groß werden sehen und meine Tochter noch ein ganzes Stück begleiten. Und ich möchte wenigstens noch meine restlichen Kisten aus dem Keller holen und öffnen und womöglich auch noch so bearbeiten, dass ich sie mit gutem Gefühl zur Seite schieben kann.
Das heißt, ich muss – obwohl ich Sport hasse und eigentlich sowieso alles, was mit meinem Körper zu tun hat – halbwegs dringend was für meine Gesundheit tun und Gewicht los lassen. Die Zeit in Malente hat gezeigt, dass ich am ehesten durch Bewegung abnehmen kann. Wenn ich irgendwann mal raus finde, wie ich meinen Schweinehund dauerhaft in die Ecke verbannen kann, könnte das auch jetzt wieder klappen - der Ergometer steht ja auffällig genug im Arbeitszimmer rum. Immerhin sitze ich da auch immer wieder drauf und strampel fluchend meine Kilometer ab. Für Twitter hab ich mir den Hashtag #MitSportZumUHu eingerichtet und schreibe ab und zu was, weil diese Öffentlichkeit vielleicht dabei hilft, dran zu bleiben. Aber es ist alles noch nicht regelmäßig und nicht genug und schon gar nicht selbstverständlich, denn die Abneigung ist leider riesig. Zudem bin ich wie immer besser darin, Ausreden zu erfinden und mich dann selbst zu verachten, als einfach schnell eine Runde zu fahren und mich danach besser zu fühlen.
Beim Hilfe-Dings gibt es seit neuestem wieder die Möglichkeit, einmal in der Woche mit einer kleinen Gruppe zum Schwimmen zu gehen; sie bezahlen sogar die Hälfte vom Eintritt und es ist meine Betreuerin, die dort mit geht. Eigentlich wäre das neben dem Ergometertraining ideal für mich, wenigstens zweimal im Monat. Aber wie immer finde ich viele Ausreden: wie komme ich da hin und wieder zurück, kann ich mir die Monatskarte für den HVV leisten, halt ich das durch und schaff ich es, meine Scham zu überwinden? (Ja, ich weiß: niemand guckt und viele sehen selbst so aus wie ich. Das macht die Scham nicht weg und darum nicht leichter.)
Ich bin einfach kein Sport-Typ. Ich fand noch nie Gefallen daran, an oder sogar über meine körperlichen Grenzen zu gehen. Und ich hasse es, zu schwitzen. Knallrote Birne, keine Luft, aber der Schweiß läuft überall: das ist einfach nur höchst unangenehm.
Die Bewegung und das nötige Körperbewußtsein beim Flöten früher war okay, darüber hinaus wollte ich mich mit meinem Körper aber sowieso eigentlich nicht befassen. Ich wußte nicht viel über Trauma, aber instinktiv war klar, dass ich damit unschöne Erinnerungen vorgelockt hätte. Aber es war ja auch alles in Ordnung und funktionierte, wie es sollte.
Ein anderer Weg zu weniger Gewicht wäre natürlich, das Essen einzuschränken. Zu verzichten und womöglich zu hungern. Dann bin ich wieder in meiner Kindheit, das steh ich nicht nochmal durch.
Da wäre auch immer noch das Zeug, das ich letztes Jahr von meiner Diabetesärztin bekommen hab, aber davon wird mir weiterhin schlecht und Essen mit Übelkeit zu verbinden scheint mir nach wie vor kein gesunder Weg, abzunehmen.
Ich hoffe also weiterhin darauf, dass ich mit Hilfe der Therapie mein gestörtes Verhalten Essen gegenüber verstehen und ändern kann und dass sich das zusammen mit der Bewegung, an die ich mich hoffentlich doch irgendwann irgendwie gewöhne, mit der Zeit auf mein Gewicht auswirkt.
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(Warum hat eigentlich nie irgendjemand was gesagt, als ich damals anfing, zuzunehmen? Da gab es noch Freund:innen, die müssen das gesehen haben. Hat sich das niemand getraut? Dachten sie alle, das wäre meine Sache und würde schon vorbei gehen? Oder hat wirklich niemand gesehen, dass und wie ich gelitten habe, dass es mir abgrundtief schlecht ging, dass ich - wäre das Kind nicht da gewesen - womöglich gegangen wäre? War ich wieder einmal so unsichtbar?
Nein, die anderen tragen keine Verantwortung daran, haben keine Schuld. Das ist damit nicht gemeint. Manchmal wundere ich mich nur.)