21-01-2024 Die Brille, der Anruf, das Tief

Das Tief geht wei­ter. Von den 20 Tagen im Januar haben 11 in mei­ner Stim­mungs-App ein “schlecht” als Bewer­tung bekom­men (das ist die vor­letzte Stufe auf der Skala). So eine lange miese Phase gab es noch nie in den gut 7 Jah­ren, die ich die App jetzt nutze.

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Die neue Brille ist ein Desas­ter. Die Stärke geht eigent­lich, aber da sie nie rich­tig sitzt, seh ich auch nicht rich­tig scharf, son­dern hab oft eine ganz leichte Ver­schie­bung, die dann Dop­pel­bil­der macht. Es sind nur Mil­li­me­ter­bruch­teile, aber ich bemerke sie, weil ich dau­ernd ver­su­che, scharf zu stel­len.
Noch viel schlim­mer aber ist die­ses Gefühl, einen Fremd­kör­per im Gesicht zu haben. Ich hatte meine alte Brille ca. 18 Jahre, ich hab sie - obwohl ich sie auch immer wie­der hoch­schie­ben musste - nicht gespürt, sie war ein­fach da. Wie Schmuck, den man immer trägt, der zu einem dazu gehört, der sei­nen fes­ten Platz am Kör­per hat. Die neue Brille fühlt sich immer ein win­zi­ges Stück dane­ben an. Es gibt zwar einen Ort, wo es okay ist, aber ers­tens auch nur okay und zwei­tens rutscht sie von da sofort weg. Sie klemmt falsch hin­ter den Ohren, die Bügel sind viel zu lang. Wenn ich den Kopf nach links drehe, schiebt sie sich nach rechts. Wenn ich nach unten gucke, rutscht sie run­ter. Wenn ich eine Gri­masse mache, die Augen zukneife, die Nase rümpfe, ver­schiebt sie sich. Wenn ich sie ganz nach oben klemme, drückt sie - und bleibt da ja nicht. Und bei allem hab ich per­ma­nent die­ses fal­sche Gefühl.
Wie kann ich denn sowas einer Opti­ke­rin klar machen? Ver­ste­hen die das?

Komi­scher­weise hatte ich die­ses Gefühl nicht bei der zu schwa­chen Über­gangs­brille. Ich weiß nicht, ob es (auch) damit zu tun hatte, dass sie ein klei­nes biß­chen leich­ter war wegen der schwä­che­ren Glä­ser, aber ich kann mir eigent­lich nicht vor­stel­len, dass das so viel aus­macht.
Heute hab ich noch­mal meine alte Brille raus­ge­holt zum Ver­gleich und gese­hen, dass sie kom­plett andere Bügel hat. Sie sind viel kür­zer und gra­der als die von der neuen. Ob es das ist? Ob sich daran was machen lässt? Das uralte Gestell ist natür­lich völ­lig ver­schram­melt und abge­blät­tert, aber ich wün­sche es mir sehn­lichst zurück. Ich weiß nicht, ob ich mich an das neue gewöh­nen kann. Und manch­mal bin ich kurz davor, es in die Ecke zu don­nern, aber da ist ja jetzt alles aus Kunst­stoff, das geht ja noch nicht­mal kaputt.

Jeden­falls macht das alles wahn­sin­nig schlechte Laune. Ich bin stän­dig gereizt und genervt und stehe kurz vor der Explo­sion. Ich hab nur Angst davor, dass es an der völ­lig fal­schen Stelle raus­bricht. Viel­leicht sollte ich mich schon jetzt vor­sichts­hal­ber bei allen Men­schen mei­ner Umge­bung ent­schul­di­gen.
Ich ver­such es trotz­dem noch­mal mor­gen bei Fielmann.

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Und dann war da noch der befürch­tete und ersehnte Anruf. Genau, DER Anruf von der Kli­nik. Am Frei­tag, mor­gens um 9 Uhr. Ich hatte keine Ter­mine und lag natür­lich noch im Bett. Zu mei­nem gro­ßen Glück war ich aber kurz vor­her auf dem Klo und noch nicht wie­der ein­ge­schla­fen, als das Tele­fon klin­gelte. Auf dem Dis­play stand nur “Pri­vate Num­mer” und ich hab einen Moment über­legt, gar nicht ran zu gehen. Weil ich aber ja auf den Anruf war­tete, hab ich mich über­wun­den und saß dann also nackt im Bett, wäh­rend mich die Ober­ärz­tin der Kli­nik über meine Ess­stö­rung aus­fragte. Ich hasse sol­che Situa­tio­nen zutiefst. Warum ver­dammt kann man da kei­nen Ter­min aus­ma­chen? Das muss denen doch auch klar sein, dass das für Men­schen mit psy­chi­schen Pro­ble­men (und genug ande­ren auch) Stress bedeu­tet! Und dann meinte die Ärz­tin auch noch vor­wurfs­voll, sie hätte mich nie erreicht! Sie hat genau EINMAL ange­ru­fen! Was erwar­ten die? Dass ich nach der Ankün­di­gung, es könne bis zu zwei Wochen dau­ern, nur noch zuhause starr sitze, bis der Anruf kommt?
(Ob ich es schaffe, das den zustän­di­gen Men­schen in der Kli­nik noch­mal direkt zu sagen? Vor­aus­ge­setzt, ich kann über­haupt hin.)

Das Gespräch selbst war selt­sam und zum gro­ßen Teil unan­ge­nehm. Natür­lich wegen mei­ner Lage (nackt im Bett), auch weil ich total unaus­ge­schla­fen war und um die Uhr­zeit sowieso nicht gut reden kann, schon gar nicht über schwie­rige The­men. Die Ärz­tin selbst emp­fand ich als unfreund­lich, schnip­pisch irgend­wie, unge­dul­dig. Ihre Fra­gen gin­gen immer hin und her zwi­schen sach­lich (wie­viel wie­gen Sie? Wie sehen Ihre Mahl­zei­ten aus? Was früh­stü­cken Sie? Kommt es zum Erbre­chen? Sind Sie sui­zi­dal?) und psy­chisch (was sind Ihre Trig­ger? Was erhof­fen Sie sich? Und noch drei­mal: was sind Ihre Trig­ger?). Als ich das mit dem Trig­ger nicht sofort beant­wor­ten konnte und auch nicht sagen, warum ich in mei­ner bis­he­ri­gen The­ra­pie das Thema noch nie bear­bei­tet habe, wurde sie kurz ange­bun­den und meinte sowas wie “ich stell Ihnen mal lie­ber Fra­gen, so wird das nichts”, hat mich dann aber beim ant­wor­ten immer wie­der unter­bro­chen und einige Male nur stur ihre Frage wie­der­holt. Am Ende des Gesprächs sagte sie: “eine Mit­ar­bei­te­rin wird sich dann bei Ihnen mel­den”. Auf meine Rück­frage, ob ich das als Zusage ver­ste­hen könnte, sagte sie den glei­chen Satz noch­mal. Eine Ant­wort war das nicht, ich bin genauso schlau wie vor­her und darf also wei­ter warten.

Die ganze Zeit wäh­rend des Gesprächs hatte ich das Gefühl, ich wäre nicht gestört genug, müsste aber gleich­zei­tig viel reflek­tier­ter sein. Spä­ter kam mir dann ein Satz in den Sinn, den ich hätte sagen sol­len: “Wenn ich das alles wüßte, würde ich nicht in die Kli­nik wol­len.“
Jeden­falls würde es mich nicht wun­dern, wenn ich es ver­kackt habe und eine Absage bekomme. Ich kann es über­haupt nicht ein­schät­zen. Das hebt die Stim­mung übri­gens auch kein Stück - im Gegenteil.

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Und ich dachte am Ende des letz­ten Jah­res noch, was soll sich denn groß ändern, nur weil da eine andere Zahl steht im Datum. Dass es in die blöde Rich­tung gehen wird, hätte ich jeden­falls nicht erwar­tet. Das darf sich dann jetzt lang­sam mal wie­der ändern.

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