Das Tief geht weiter. Von den 20 Tagen im Januar haben 11 in meiner Stimmungs-App ein “schlecht” als Bewertung bekommen (das ist die vorletzte Stufe auf der Skala). So eine lange miese Phase gab es noch nie in den gut 7 Jahren, die ich die App jetzt nutze.
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Die neue Brille ist ein Desaster. Die Stärke geht eigentlich, aber da sie nie richtig sitzt, seh ich auch nicht richtig scharf, sondern hab oft eine ganz leichte Verschiebung, die dann Doppelbilder macht. Es sind nur Millimeterbruchteile, aber ich bemerke sie, weil ich dauernd versuche, scharf zu stellen.
Noch viel schlimmer aber ist dieses Gefühl, einen Fremdkörper im Gesicht zu haben. Ich hatte meine alte Brille ca. 18 Jahre, ich hab sie - obwohl ich sie auch immer wieder hochschieben musste - nicht gespürt, sie war einfach da. Wie Schmuck, den man immer trägt, der zu einem dazu gehört, der seinen festen Platz am Körper hat. Die neue Brille fühlt sich immer ein winziges Stück daneben an. Es gibt zwar einen Ort, wo es okay ist, aber erstens auch nur okay und zweitens rutscht sie von da sofort weg. Sie klemmt falsch hinter den Ohren, die Bügel sind viel zu lang. Wenn ich den Kopf nach links drehe, schiebt sie sich nach rechts. Wenn ich nach unten gucke, rutscht sie runter. Wenn ich eine Grimasse mache, die Augen zukneife, die Nase rümpfe, verschiebt sie sich. Wenn ich sie ganz nach oben klemme, drückt sie - und bleibt da ja nicht. Und bei allem hab ich permanent dieses falsche Gefühl.
Wie kann ich denn sowas einer Optikerin klar machen? Verstehen die das?
Komischerweise hatte ich dieses Gefühl nicht bei der zu schwachen Übergangsbrille. Ich weiß nicht, ob es (auch) damit zu tun hatte, dass sie ein kleines bißchen leichter war wegen der schwächeren Gläser, aber ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass das so viel ausmacht.
Heute hab ich nochmal meine alte Brille rausgeholt zum Vergleich und gesehen, dass sie komplett andere Bügel hat. Sie sind viel kürzer und grader als die von der neuen. Ob es das ist? Ob sich daran was machen lässt? Das uralte Gestell ist natürlich völlig verschrammelt und abgeblättert, aber ich wünsche es mir sehnlichst zurück. Ich weiß nicht, ob ich mich an das neue gewöhnen kann. Und manchmal bin ich kurz davor, es in die Ecke zu donnern, aber da ist ja jetzt alles aus Kunststoff, das geht ja noch nichtmal kaputt.
Jedenfalls macht das alles wahnsinnig schlechte Laune. Ich bin ständig gereizt und genervt und stehe kurz vor der Explosion. Ich hab nur Angst davor, dass es an der völlig falschen Stelle rausbricht. Vielleicht sollte ich mich schon jetzt vorsichtshalber bei allen Menschen meiner Umgebung entschuldigen.
Ich versuch es trotzdem nochmal morgen bei Fielmann.
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Und dann war da noch der befürchtete und ersehnte Anruf. Genau, DER Anruf von der Klinik. Am Freitag, morgens um 9 Uhr. Ich hatte keine Termine und lag natürlich noch im Bett. Zu meinem großen Glück war ich aber kurz vorher auf dem Klo und noch nicht wieder eingeschlafen, als das Telefon klingelte. Auf dem Display stand nur “Private Nummer” und ich hab einen Moment überlegt, gar nicht ran zu gehen. Weil ich aber ja auf den Anruf wartete, hab ich mich überwunden und saß dann also nackt im Bett, während mich die Oberärztin der Klinik über meine Essstörung ausfragte. Ich hasse solche Situationen zutiefst. Warum verdammt kann man da keinen Termin ausmachen? Das muss denen doch auch klar sein, dass das für Menschen mit psychischen Problemen (und genug anderen auch) Stress bedeutet! Und dann meinte die Ärztin auch noch vorwurfsvoll, sie hätte mich nie erreicht! Sie hat genau EINMAL angerufen! Was erwarten die? Dass ich nach der Ankündigung, es könne bis zu zwei Wochen dauern, nur noch zuhause starr sitze, bis der Anruf kommt?
(Ob ich es schaffe, das den zuständigen Menschen in der Klinik nochmal direkt zu sagen? Vorausgesetzt, ich kann überhaupt hin.)
Das Gespräch selbst war seltsam und zum großen Teil unangenehm. Natürlich wegen meiner Lage (nackt im Bett), auch weil ich total unausgeschlafen war und um die Uhrzeit sowieso nicht gut reden kann, schon gar nicht über schwierige Themen. Die Ärztin selbst empfand ich als unfreundlich, schnippisch irgendwie, ungeduldig. Ihre Fragen gingen immer hin und her zwischen sachlich (wieviel wiegen Sie? Wie sehen Ihre Mahlzeiten aus? Was frühstücken Sie? Kommt es zum Erbrechen? Sind Sie suizidal?) und psychisch (was sind Ihre Trigger? Was erhoffen Sie sich? Und noch dreimal: was sind Ihre Trigger?). Als ich das mit dem Trigger nicht sofort beantworten konnte und auch nicht sagen, warum ich in meiner bisherigen Therapie das Thema noch nie bearbeitet habe, wurde sie kurz angebunden und meinte sowas wie “ich stell Ihnen mal lieber Fragen, so wird das nichts”, hat mich dann aber beim antworten immer wieder unterbrochen und einige Male nur stur ihre Frage wiederholt. Am Ende des Gesprächs sagte sie: “eine Mitarbeiterin wird sich dann bei Ihnen melden”. Auf meine Rückfrage, ob ich das als Zusage verstehen könnte, sagte sie den gleichen Satz nochmal. Eine Antwort war das nicht, ich bin genauso schlau wie vorher und darf also weiter warten.
Die ganze Zeit während des Gesprächs hatte ich das Gefühl, ich wäre nicht gestört genug, müsste aber gleichzeitig viel reflektierter sein. Später kam mir dann ein Satz in den Sinn, den ich hätte sagen sollen: “Wenn ich das alles wüßte, würde ich nicht in die Klinik wollen.“
Jedenfalls würde es mich nicht wundern, wenn ich es verkackt habe und eine Absage bekomme. Ich kann es überhaupt nicht einschätzen. Das hebt die Stimmung übrigens auch kein Stück - im Gegenteil.
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Und ich dachte am Ende des letzten Jahres noch, was soll sich denn groß ändern, nur weil da eine andere Zahl steht im Datum. Dass es in die blöde Richtung gehen wird, hätte ich jedenfalls nicht erwartet. Das darf sich dann jetzt langsam mal wieder ändern.