In den letzten dreieinhalb Wochen ist hier nichts passiert, worüber ich hätte schreiben können. Die meiste Zeit hab ich nichts getan außer aufzustehen, meine Termine einzuhalten und die Tage so zu verbringen, dass ich am Abend wenigstens nicht unzufrieden bin. Aber das ist okay, das darf so sein.
Gestern wäre eigentlich Schwimmgruppe vom Hilfe-Dings gewesen, die fiel allerdings wegen akutem Mangel an Mitschwimmerinnen, viel zu wenig Platz im Innenbecken (wg. Bauarbeiten ist das zweite große Becken geschlossen), Regen im Außenbecken und aus all dem resultierender Unlust leider aus. Statt dessen haben Frau R. (die auch die Schwimmgruppe betreut) und ich unser für heute geplantes Treffen vorgezogen und so hab ich einen unerwarteten freien Tag. Zeit, mal wieder was “richtiges” zu tun und an Projekte zu gehen, die hier angefangen rumliegen. Naja, und ein bißchen schreiben hier, das auch.
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Wie üblich wirkte die ganze Geschichte rund um das Ehrenamt noch lange nach. Die Entscheidung, mich überhaupt zu bewerben, der Mut, nach draußen zu gehen und mich zu zeigen, die Aufregung, neue / fremde Menschen zu treffen, mit Überzeugung für mich einzustehen und am Ende noch einmal die Entscheidung, es nicht zu tun: jeder einzelne dieser Punkte und alle kleinen “Unterpunkte” brauchten viel Kraft und dann eben auch Zeit, um die Batterie wieder aufzuladen.
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Ende Februar ist die Zweigstelle von meinem Hilfe-Dings umgezogen. Bisher waren sie an der Grenze zwischen Eimsbüttel und Altona auf zwei Orte verteilt, die ich beide schnell und einfach mit dem Rad oder bei schlechtem Wetter mit dem Bus erreichen konnte. Jetzt gibt es einen einzigen großen Standort mitten in Altona mit vielen unterschiedlich großen Räumen auf einer Etage. Das ist für alle richtig gut und es ist wunderschön und hell und freundlich dort, aber der Standort ist für mich (und viele andere) viel weiter weg als vorher - mit dem Rad bräuchte ich über eine halbe Stunde für einen Weg, das ist nicht wirklich machbar. Es bleibt also nur Bahn & Bus und wie sehr ich dank Corona verlernt habe, dass da im öffentlichen Raum unglaublich viele andere Menschen sind, die einem auf die Pelle rücken und laut sind und rücksichtslos, merkte ich so richtig, nachdem ich in der ersten Woche nach dem Umzug an 3 Tagen hintereinander unterwegs war. Und das sind nur die ganz normalen Termine: montags zum Schwimmen, am Dienstag der Einzeltermin und mittwochs die Gruppe. Wenn dann noch die Therapie dazu kommt, sind es sogar 4 Tage und immer zwischen Mittag und Nachmittag, wenn sowieso am meisten los ist. Das auszuhalten und mich abzugrenzen raubt extrem viel Energie.
Glücklicherweise hat meine gute Frau R. vorgeschlagen, dass wir unsere wöchentlichen Termine abwechselnd telefonisch und life machen können und eines der beiden Treffen auch in meiner Nähe statt finden kann. Das entlastet wenigstens ein bißchen.
Was Frau R. noch macht: sie drängelt grade - natürlich ganz liebevoll und mit Unterstützung! -, dass ich eine Beförderungspauschale beantragen soll, die mir erlauben würde, einige Fahrten mit dem Taxi zu machen. Was da sofort für uralte Glaubenssätze in mir hoch kommen! “Dafür bist du nicht krank / geschädigt genug”, “das bißchen Busfahren ist doch nicht so schlimm”, “sei froh, dass du überhaupt Geld zum Leben bekommst” und natürlich der Lieblingssatz “stell dich doch nicht so an”. Alle anderen hätten das verdient, aber ich doch nicht. Und wenn ich das in Anspruch nehmen würde, dann müsste ich ja wirklich akzeptieren, dass ich krank bin.
Ich hab in den letzten zwei Jahren hart daran gearbeitet, dass ich mein Leben annehmen kann, wie es eben geworden ist. Trotzdem sind da noch unzählige alte Sätze und Muster in mir, die die vollständige Akzeptanz blockieren. Es macht mich immer noch traurig und wütend, wie klein und wertlos wir gemacht und gehalten wurden und dass alles wehren dagegen alles nur noch schlimmer gemacht hat. Ich glaube nichtmal, dass meine Mutter uns absichtlich damit schaden wollte, aber es war zu der Zeit eben nicht anders und sie war froh, wenn sie nicht noch mehr Probleme hatte als die, die eh schon reichlich da waren. Irgendwie kann ich es aus ihrer Sicht verstehen, aber ich sitze hier 60 Jahre später und hab immer noch damit zu kämpfen. Und wenn ich eins geschafft hab, dann kommt der nächste Satz um die Ecke und macht mich wieder klein. Und wieder halte ich aus und gestehe mir Sachen nicht zu und ordne mich ganz nach unten, weil ich es ja nicht anders kenne und nicht anders verdient habe, denn: wer bin ich denn schon.
Ich bin wütend - aber noch größer als die Wut ist die Resignation. Was kann ich denn schon ändern, jetzt noch, wo schon so viel Leben hinter mir liegt. Wenn ich es mit meinen Mitteln und meiner Kraft bis jetzt nicht geschafft habe, wie sollte es denn gehen?
So ganz allgemein gesehen läuft es ja okay, damit könnte ich doch zufrieden sein, oder?
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Ich wünschte manchmal, ich wüßte nicht so viel, dann könnte ich mir vielleicht nicht vorstellen, dass es auch anders sein könnte.
Besonders der letzte Satz, ohja.
Ich puste einen fetten Mut-Schub rüber zu dir. 😍
😘🤗