Es ist mal wieder soweit: der jährliche “Sozial- und Verlaufsbericht für Eingliederungshilfeleistungen”, anhand dessen geprüft wird, ob ich weiterhin hilfebedürftig bin, ist fällig. Dafür gibt es einen Vordruck mit Themen und Fragen zu den “Wesentlichen Entwicklungen im Berichtszeitraum”; die Antworten sollten sinnvollerweise Fortschritte erkennen lassen, aber bitte auch deutlich machen, dass ich das Hilfe-Dings noch dringend brauche. Sag ich, nicht die Behörde. Klar, oder?
Das Ding auszufüllen ist natürlich die Aufgabe meiner Betreuerin, aber da wir auf Augenhöhe miteinander arbeiten, gibt sie mir das Dokument zur Prüfung, Berichtigung und Ergänzung, bevor sie es an die Behörde schickt.
Vorgestern sprachen wir bei unserem wöchentlichen Treffen darüber, was in dem Bericht stehen soll. Das Wichtigste, das wir beide sehen, ist, dass da vor etwa einem Jahr eine große Veränderung angefangen hat, die mir hilft, besser zu akzeptieren, dass mein Leben jetzt eben so ist: mit Einschränkungen durch Körper und Psyche, mit weniger Kraft, ohne bezahlte Arbeit, mit wenigen sozialen Kontakten. Das heißt nicht, dass das für den Rest so bleiben muss, aber wenn ich immer nur dem nachtrauer, was nicht mehr ist, kann ich nicht vorwärts gehen. Und genau das mache ich eben seit einiger Zeit, auch wenn die Schritte oft klein und langsam sind. Zurückblickend wird dann aber sichtbar, dass die zurück gelegte Strecke doch ganz schön groß ist.
Ich bin noch lange nicht am Ende, aber dass es weiter geht und ich nicht aufgebe: daran hat das Hilfe-Dings einen ziemlich großen Anteil. Ein Teil davon sind die Gespräche mit meiner Betreuerin, ein anderer meine Mittwochsgruppe. Von der will ich heute mal ausführlich erzählen - die tut mir nämlich verdammt gut.
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Bei dem Hilfe-Dings gibt es diverse Gruppenangebote (Kreativkram, Filmabend, Schwimmen, Spazieren in Planten & Blomen, Frühstücken, früher auch mal eine Gartengruppe …), die offen sind für alle Klient:innen. Offen heißt, dass man sich nicht anmelden muss und mal kommt oder auch mal nicht. Wie man eben will und kann. Die Mittwochsgruppe (die in echt eine andere Bezeichnung hat) ist die einzige geschlossene Gruppe mit festen Teilnehmerinnen (nicht gegendert: es hat sich so ergeben, dass es immer nur Frauen sind) und einer gewissen Verbindlichkeit, jede Woche zu kommen.
Seit Juli 2019 bin ich dabei; damals gab es die Gruppe schon ca. 2 Jahre und sie bestand aus 8 bis 10 Frauen, die mehr oder weniger regelmäßig zu den Treffen kamen. Wir haben zusammen überlegt, ob und was wir machen wollen, ob es ein Thema gibt oder wir etwas gemeinsam unternehmen und irgendwie war am Ende immer für Jede was dabei, was ihr gut tat.
Ich hatte grade angefangen, mich wohl zu fühlen dort, auch wenn es manchmal sehr anstrengend war und ich mit zwei oder drei Frauen so überhaupt nichts gemeinsam hatte (und eine davon auch richtig doof fand). Aber es waren soziale Kontakte, es war ein fester Termin in der Woche, es holte mich aus meinem Loch und genau das brauchte ich. Und dann kam Corona.
Erst konnte einfach gar nichts statt finden, dann - nach dem ersten Lockdown - nur in ganz kleinen Gruppen und nur draußen und dann mussten wir uns entscheiden, ob wir weiter dabei bleiben oder eine Pause machen wollten. Weil ich dank des Fahrradunfalls für ein paar Monate nur eingeschränkt mobil war, entschied ich mich für die Pause. Als ich dann Anfang 2021 wieder zurück kam, waren nur noch 3 Frauen übrig geblieben (mit mir also 4). Eine von uns hat ihren festen Platz, kommt aber aus Gründen nur sporadisch. Inzwischen können wir uns alle vorstellen, dass noch ein oder zwei Menschen dazu kommen. denn wenn mal Eine von uns nicht kann, sind die anderen zwei doch etwas wenig. Außerdem könnte ein bißchen frischer Wind nicht schaden.
Nach wie vor entscheiden wir gemeinsam, wie wir die Treffen gestalten. Bei schönem Wetter gehen wir auch mal raus (zum Beispiel zu Planten & Blomen oder einmal zum Minigolf), letzten Winter waren wir beim Kunsthandwerkermarkt und im Oktober wollen wir zur Fotoausstellung (World Press Photo 2022). Oder wir lesen aus Büchern vor, malen und gestalten zusammen, backen Kekse oder nehmen uns ein Thema vor, über das wir reden wollen.
Immer wieder spannend finde ich, wenn wir - so wie gestern - mit den Karten aus der “Stärken-Schatzkiste für Therapie und Beratung” arbeiten. Dabei zieht Jede verdeckt 1 - 3 Karten (je nach Zeit) und wir antworten reihum offen. Auf den Karten stehen Fragen wie: “Was ist an mir einzigartig und liebenswert? Wobei bin ich mir treu geblieben? Wann spüre ich Tatendrang? Wer war mein Vorbild in der Kindheit? Was gelingt mir richtig gut?” Daraus ergeben sich oft ganz ungeahnte Gespräche und manchmal auch neue Blickrichtungen.
Dazwischen gibt es immer wieder Treffen, bei denen wir über sehr persönliche Dinge reden. Immerhin haben wir ja alle einen bestimmten Grund, weshalb wir beim Hilfe-Dings gelandet sind und es tut einfach gut, darüber mit anderen zu reden, die das aus eigenem Erleben kennen und verstehen. Dass das so gut funktioniert, dass wir uns so sehr vertrauen und uns öffnen können, ist ein ganz großes Geschenk. Wir sind keine Freundinnen im eigentlichen Sinn, aber wir mögen uns und das reicht dafür, dass es gut ist.
In der Abschlussrunde gestern sagte ich, wie gut es (mir) tut, dass wir diesen Ort haben für uns. Einen Ort, an dem gar nichts Großes, Weltbewegendes passieren muss, an dem wir einfach beieinander sein und uns austauschen können über alles, was uns bewegt. Manchmal ist es das politische Tagesgeschehen, manchmal ganz persönliches, manchmal belangloser Kaffeeklatsch über Alltägliches und manchmal Gespräche, die sich aus einem vorgegebenen Impuls wie den o.e. Karten entwickeln. Dass das sein darf, wie es kommt, ist einfach gut.
Aber gut ist eben auch, dass wir eine Verabredung haben im Rahmen vom Hilfe-Dings, dass wir das nicht selbst organisieren müssen, weil wir das mit unseren Handicaps vielleicht nicht immer schaffen würden, sondern dass da die Betreuerinnen sind, die uns helfen. Die uns verwöhnen mit Kaffee und Keksen und die immer offene Ohren haben und uns diesen geschützten Raum geben.
Ich bin wirklich dankbar für den Ort, für die Menschen dort. Nach den vielen Jahren, die ich seit der Depression alleine zuhause bin, sind das - abgesehen von der Tochter & Familie und meiner Freundin D. - die ersten richtigen sozialen Kontakte für mich. Ich wußte immer, dass es mir fehlt, aber ich wußte nicht, wo und wie ich solche Kontakte neu knüpfen könnte, zumal die Scheu oder manchmal sogar Angst vor neuen Leuten immer größer wurde, je länger ich alleine war. Dieser Ort war der richtige Rahmen, um wieder zu lernen, ein soziales Wesen zu sein. Gesehen zu werden und mich zu zeigen.
Darum bin ich auch mir selbst dankbar, dass ich meiner Therapeutin vertraut habe, als sie mir genau diesen Ort ans Herz legte und dass ich es dann auch noch geschafft habe, mich auf den Weg dorthin zu machen und zu bleiben.
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Den Namen der Hilfe-Einrichtung oder der Gruppe will und werde ich hier nicht nennen, das tut nichts zur Sache und geht niemanden was an. Als Symbol für den Ort und für die herzliche Atmosphäre dort zeige ich aber ein Foto, das bei dem Ausflug in den Wildpark “Schwarze Berge” neulich entstanden ist. Der war offen für alle, nicht nur für unsere Mittwochsgruppe, und meine Premiere: das erste Mal seit Ewigkeiten war ich mit unbekannten Menschen unterwegs. Begleitet wurden wir 7 Klient:innen von 2 Betreuer:innen - und Mila, der Hündin von einer davon.