25-11-2022 Twitter: bleiben oder gehen?

Ende Okto­ber 2022 hat Elon Musk, der reichste Mann der Welt, Twit­ter gekauft und spielt seit­dem damit, wie auch immer er Lust hat. Ent­lässt die halbe Beleg­schaft, ver­kauft den blauen Haken - die Veri­fi­zie­rung der Accounts - an alle, die zah­len wol­len (und schei­tert zum Glück erst­mal damit), pro­pa­giert groß­spu­rig die freie Rede, sperrt dann aber alle, die sich über ihn lus­tig machen, ent­sperrt jetzt aber rechte, Fake News ver­brei­tende und Hass schü­rende Accounts - allen voran den von D. Trump.
Ich drö­sel das hier nicht noch­mal alles auf, das kön­nen andere viel bes­ser als ich (z.B. der “Volks­ver­pet­zer” hier und hier). Sehr gut fasst das ganze das fol­gende Zitat aus dem zwei­ten der vor­her ver­link­ten Arti­kel zusammen:

[…] Elon Musk, eine inter­es­sante Beob­ach­tung neben­bei, [ist] als klas­si­scher Troll zu klas­si­fi­zie­ren. Er pro­vo­ziert, belei­digt, will Auf­merk­sam­keit und tut alles dafür, dass andere Trolle sein Ego hofie­ren (was auch mit fremd­schä­mi­ger Unter­wer­fung regel­mä­ßig geschieht). Aller­dings ist Elon der aller­erste Troll, dem die Platt­form gehört, auf der er trollt. Das ist ein Novum. Der Sinn dahin­ter erschließt sich aller­dings noch nicht ganz. Immer­hin wird es Wer­be­kun­den nur wei­ter abschre­cken, wenn der reichste Mann der Welt, der Twit­ter-Ober­vo­gel Elon Musk, sich auf­führt wie ein gehäs­si­ger Fünf­zehn­jäh­ri­ger auf Reddit.

https://www.volksverpetzer.de/aktuelles/elon-musk-doppelfail-drama-trump/

Die Folge von all dem ist, dass ganz viele Men­schen fast panik­ar­tig Twit­ter ver­las­sen. In den ers­ten Tagen nach der Über­nahme war über­all zu lesen, wie die Zahl der Follower:innen und Fol­lows stünd­lich weni­ger wird - selbst auf einem klei­nen Account wie mei­nem. Und im Gegen­satz zu frü­her, wo die Leute mir ein­fach ent­folgt sind, haben sie jetzt ihre Accounts kom­plett still gelegt oder gleich gelöscht.
Ich ver­steh das gut. Will ich denn wirk­lich eine Platt­form nut­zen, deren Besit­zer sich auf­führt wie ein Kind, das mit Crash­test-Dum­mies spielt und der dem poli­tisch rech­ten Lager zuzu­ord­nen ist? Natür­lich find ich das scheisse. Ande­rer­seits sind inzwi­schen wohl fast alle Regie­rungs­par­teien fast aller Län­der auf Twit­ter ver­tre­ten, also auch alle rech­ten. Dazu kom­men recht­ex­treme Grup­pen, Schwurb­ler, Quer­den­ker, Alu­hut­trä­ger, Ver­schwö­rungs­gläu­bige und so wei­ter. Ich will mit denen eigent­lich auch nicht zusam­men sein, aber ich kann die nicht ver­bie­ten, nur über­le­sen oder blockieren.

Aber sol­len wir denen und den ewig Nör­geln­den und Pöbeln­den “unser” Twit­ter ein­fach über­las­sen? Wer infor­miert und warnt denn dann, wer klärt auf und zeigt, was bei denen läuft? Muss _man_ nicht erst recht dort blei­ben als Gegen­ge­wicht? Ich hab mini­mal Reich­weite mit mei­nen 300 Follower:innen, aber wenn ein von mir geteil­ter Tweet nur eine Per­son zum nach­den­ken bringt oder jeman­dem hilft, eine andere zu über­zeu­gen: lohnt es sich nicht schon alleine dafür?

Wenn ich wegen den o.g. gehen wollte, hätte ich mich nie auf Twit­ter anmel­den dür­fen. Aber ich bin da, seit über 7 Jah­ren. Erst nur wegen der Social Media Fort­bil­dung und des Jobs, dann immer mehr pri­vat und vor allem in der #not­jus­t­sad Runde, über die ich so viele tolle Men­schen ken­nen gelernt habe. Ich hab ein vir­tu­el­les Zuhause auf Twit­ter, ohne das ich die letz­ten Jahre viel­leicht nicht über­stan­den hätte. Ja, das klingt groß und das ist es auch. Ich hab oft davon geschrie­ben hier, dass es mir schwer fällt, reale neue Kon­takte zu knüp­fen, mich auf fremde Men­schen ein­zu­las­sen, mich zu zei­gen. Vir­tu­ell ist nicht weni­ger echt, aber in vie­len Berei­chen ein­fa­cher. Hätte ich diese Welt nicht, wäre ich sehr, sehr ein­sam. Und jetzt bricht sie aus­ein­an­der. Das tut weh.

Und die Alter­na­tive “Mast­o­don” ist in ganz vie­len Berei­chen keine Option für mich. Viel­leicht bin ich mal wie­der ein­fach nur trot­zig, weil mir etwas weg genom­men wird, was ich liebe und brau­che und mag mich darum nicht dar­auf ein­las­sen. Aber da ist so vie­les, was ich ein­fach furcht­bar finde. Allein der Name: wer bit­te­schön nennt eine inno­va­tive, zukunfts­ge­rich­tete, offene Kom­mu­ni­ka­ti­ons­platt­form nach einem vor Mil­li­ar­den von Jah­ren aus­ge­stor­be­nen Ur-Tier? (Spoi­ler: ein wasch­ech­ter Nerd, der jedem Kli­schee dazu ent­spricht.) Die Bei­träge hei­ßen “Trööts” und ich denke sofort an Ben­ja­min Blüm­chen, aber ich bin weder Kind noch Ele­fant und bei der Vor­stel­lung eines Rau­mes, in dem alle laut durch­ein­an­der trö­ten, wird mir schlecht. Es wird auch nicht re-pos­tet, son­dern geboos­tet, die Fol­lower sind Trö­tis oder Mastis und das liken von Bei­trä­gen ist extrem ver­pönt, weil es ja nicht um Auf­merk­sam­keit oder Aner­ken­nung geht und Reich­weite und Fol­lo­wer­zah­len nur was für Ego­zen­tri­ker sind, aber auf Mast­o­don sind alle nur lieb und nett und freund­lich und Nazis gibt es da ja auch keine (Mans­plai­ner übri­gens dafür reich­lich). Und unter­schwel­lig wird man:frau ver­ur­teilt, wenn er:sie wei­ter­hin auf Twit­ter bleibt. Ich muss das nicht haben, das ist nicht meins. 

Ich fühle mich ver­lo­ren zwi­schen zwei Welten.