26-07-2024 Das Nichts

Es ist so ein­fach, sich fal­len zu las­sen in das Nichts. Viel zu einfach. 

“Ich muss ja nichts” war lange Zeit mein Man­tra, weil ich das bedrü­ckende Pflicht­ge­fühl abschüt­teln, das ewige Leis­tungs­den­ken los wer­den musste, weil ich mir end­lich erlau­ben wollte, ein­fach nur zu sein. Weil ich ler­nen musste, dass ich jemand bin, auch ohne etwas dafür zu tun. Die­ser Lern­pro­zess - die Daseins­be­rech­ti­gung nicht aus einer erbrach­ten Leis­tung zu zie­hen - ist immer noch nicht abge­schlos­sen, ich arbeite wei­ter­hin daran.
Aber inzwi­schen hat sich das “ich muss ja nichts” aus­ge­brei­tet zu etwas, das nicht gut ist. Es ist zu einer Aus­rede ver­kom­men, zu einer Pau­schal­er­laub­nis, wich­tige Dinge und auch sol­che, die mir gut täten, ein­fach zu las­sen. Ich weiß das und dass das auf Dauer nicht gut geht, aber ich lasse mich fal­len in das Nichts. Weil es so viel ein­fa­cher ist, als mich zu bewe­gen und los zu gehen und etwas zu ändern.

Ich habe Rücken­schmer­zen, ich will meine Haus­ärz­tin fra­gen, ob sie mir Phy­sio­the­ra­pie ver­ord­nen kann. Ich schiebe es weg, weil es doch nicht so wich­tig ist. Mein Dau­men­ge­lenk tut seit Wochen weh, es wird immer schlim­mer. Heute kann ich kaum etwas hal­ten damit, aber naja, was solls, ist ja nicht so wich­tig, dann nehm ich eben die andere Hand. Ich muss das ja nicht ändern, ich muss ja nichts.
Seit mei­nem Sturz vor über sie­ben Wochen hab ich unge­fähr zwei­mal die Woh­nung gesaugt. Inzwi­schen ist es hier nicht mehr nur stau­big, son­dern dre­ckig. Meine schöne Tas­ta­tur ist im Müll gelan­det, weil sie so ver­sifft war. Mein Schreib­tisch klebt und krü­melt und zum Glück funk­tio­niert im Bade­zim­mer nur eine der bei­den Lam­pen, dann fällt der Dreck auf dem Boden nicht so auf. Aber ich muss ja nichts machen, weil ja nur ich es sehe und solange ich nie­man­dem etwas davon sage, weiß es nie­mand. Und ich bin nicht so wich­tig. Ich rei­che mir nicht als Grund, etwas zu tun.
Ich hätte das Recht auf eine Haus­halts­hilfe, aber dann müsste ich mir und ande­ren ein­ge­ste­hen, dass ich nicht alleine zurecht komme. Dann muss ich lie­ber nichts.

So geht es grade mit allem. Ich bin so unfit wie noch nie, weil ich im letz­ten hal­ben Jahr dank Brille, Augen und Sturz kaum drau­ßen war, aber ist doch egal, dann ist es eben so. Wenn ich wirk­lich in eine Tages­kli­nik will, muss ich da anru­fen und einen Fra­ge­bo­gen aus­fül­len, aber ich muss das ja nicht, ich will das ja nur. Es wäre posi­tiv, wenn ich wie­der etwas frü­her auf­ste­hen würde, damit ich mehr Stun­den habe, in denen ich was tun kann (Dinge, die ich tun will), aber eigent­lich ist es auch egal, wenn ich bis Mit­tag oder län­ger im Bett bin. Ich würde ja nur wol­len, aber ich muss ja nichts.

Die­ses Nichts ist ein wat­te­wei­ches, bon­bon­far­be­nes klei­nes Biest. So leicht, so ver­lo­ckend, so gefähr­lich, denn hin­ter dem Quietsch­bunt lau­ert das schwarze Loch. Da ist dann aber wirk­lich nichts.

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