Es ist so einfach, sich fallen zu lassen in das Nichts. Viel zu einfach.
“Ich muss ja nichts” war lange Zeit mein Mantra, weil ich das bedrückende Pflichtgefühl abschütteln, das ewige Leistungsdenken los werden musste, weil ich mir endlich erlauben wollte, einfach nur zu sein. Weil ich lernen musste, dass ich jemand bin, auch ohne etwas dafür zu tun. Dieser Lernprozess - die Daseinsberechtigung nicht aus einer erbrachten Leistung zu ziehen - ist immer noch nicht abgeschlossen, ich arbeite weiterhin daran.
Aber inzwischen hat sich das “ich muss ja nichts” ausgebreitet zu etwas, das nicht gut ist. Es ist zu einer Ausrede verkommen, zu einer Pauschalerlaubnis, wichtige Dinge und auch solche, die mir gut täten, einfach zu lassen. Ich weiß das und dass das auf Dauer nicht gut geht, aber ich lasse mich fallen in das Nichts. Weil es so viel einfacher ist, als mich zu bewegen und los zu gehen und etwas zu ändern.
Ich habe Rückenschmerzen, ich will meine Hausärztin fragen, ob sie mir Physiotherapie verordnen kann. Ich schiebe es weg, weil es doch nicht so wichtig ist. Mein Daumengelenk tut seit Wochen weh, es wird immer schlimmer. Heute kann ich kaum etwas halten damit, aber naja, was solls, ist ja nicht so wichtig, dann nehm ich eben die andere Hand. Ich muss das ja nicht ändern, ich muss ja nichts.
Seit meinem Sturz vor über sieben Wochen hab ich ungefähr zweimal die Wohnung gesaugt. Inzwischen ist es hier nicht mehr nur staubig, sondern dreckig. Meine schöne Tastatur ist im Müll gelandet, weil sie so versifft war. Mein Schreibtisch klebt und krümelt und zum Glück funktioniert im Badezimmer nur eine der beiden Lampen, dann fällt der Dreck auf dem Boden nicht so auf. Aber ich muss ja nichts machen, weil ja nur ich es sehe und solange ich niemandem etwas davon sage, weiß es niemand. Und ich bin nicht so wichtig. Ich reiche mir nicht als Grund, etwas zu tun.
Ich hätte das Recht auf eine Haushaltshilfe, aber dann müsste ich mir und anderen eingestehen, dass ich nicht alleine zurecht komme. Dann muss ich lieber nichts.
So geht es grade mit allem. Ich bin so unfit wie noch nie, weil ich im letzten halben Jahr dank Brille, Augen und Sturz kaum draußen war, aber ist doch egal, dann ist es eben so. Wenn ich wirklich in eine Tagesklinik will, muss ich da anrufen und einen Fragebogen ausfüllen, aber ich muss das ja nicht, ich will das ja nur. Es wäre positiv, wenn ich wieder etwas früher aufstehen würde, damit ich mehr Stunden habe, in denen ich was tun kann (Dinge, die ich tun will), aber eigentlich ist es auch egal, wenn ich bis Mittag oder länger im Bett bin. Ich würde ja nur wollen, aber ich muss ja nichts.
Dieses Nichts ist ein watteweiches, bonbonfarbenes kleines Biest. So leicht, so verlockend, so gefährlich, denn hinter dem Quietschbunt lauert das schwarze Loch. Da ist dann aber wirklich nichts.