(Wie jedes Mal nach einer Pause: mitten rein, nicht nachdenken, nicht erklären oder gar rechtfertigen. Auch nicht vor mir selbst. Einfach weiter schreiben.)
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Je mehr ich mich zurückziehe von allem und allen, desto mehr fühle ich mich fehl am Platz. Als stünde ich inmitten von Menschen, die mich gar nicht wahrnehmen und darum ständig anrempeln. Jede geht ihren eigenen Weg, ist mit sich selbst beschäftigt und ich bleibe wie immer übrig.
Ich bevorzuge das Alleinsein nicht deshalb, weil ich allein sein möchte, sondern weil ich, wenn ich nicht gesehen werde, in der Menge untergehe und mich dann ganz verliere. Wenn ich alleine bin, kann ich mit der Illusion leben, dass ich selbst jemand bin. Ich will aber nicht alleine sein, denn dann verkümmere ich.
“Ich bin in Gesellschaft anderer oft nicht ich selbst, sondern so, dass ich dazu passe oder wie ich denke, dass die Menschen mich haben wollen (und mögen)”, sagte ich letztens zu Frau S. in der Therapiestunde. “Eigentlich weiß ich gar nicht, wer und wie ich bin.”
Selbst bei dem HSP-Test (s.u.) mogle ich und stelle mich “besser” (= weniger hs) dar, als ich bin. Natürlich fühlt sich das dann für mich falsch an, aber das kenn ich ja nicht anders.
Seit der letzten Erfahrung mit einer “Freundin” (die immer wieder und trotz Ansage massiv über meine Grenzen ging und die mich, nachdem ich mich deutlich gewehrt habe, seitdem komplett ignoriert), merke ich aber immer deutlicher: ich will diesen Scheixx nicht mehr.
Ich will mich nicht mehr erklären müssen und erst recht nicht verstellen. Menschen sind, denken, fühlen und handeln unterschiedlich, aber ich will weder ewig aushalten und abwarten, ob es nicht vielleicht doch passt noch jemanden überzeugen, sich mir anzupassen. Dafür reicht meine Zeit nicht mehr. Ich mag mich nicht mehr reiben und streiten, ich will gegenseitiges Verständnis, Annehmen und Sein lassen. Ich will Harmonie und Freundschaft. Da muss auch gar nicht immer alles passen zu 100%, aber wenn ich mich angenommen fühle und andersrum, dann kann ich mit 90% super gut klar kommen.
(Und dann finde ich so eine Freundin und dann wohnt die endlos weit weg. Mein Schicksal.)
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In der letzten Zeit versuche ich, mit Lärm toleranter und entspannter umzugehen. Ihn zu akzeptieren als etwas, das ich nicht beeinflussen oder abstellen kann, vor allem aber als etwas, das vorüber geht. Die Kinder auf dem Spielplatz kreischen nicht den ganzen Tag, sondern “nur” 2 Stunden. Der LKW mit der Lieferung für den Asialaden und der nervigen Kühlung fährt nach einer Viertelstunde weg. Das Elefantenjunge von oben wird irgendwann in die Kita gebracht und trampelt dort weiter. Die Gäste im Restaurant haben irgendwann fertig gegessen und dann kommen die nächsten und nach einer Weile potentiert sich der Lärm und alle müssen immer lauter werden, um sich noch zu verstehen und nein, wirklich und bei allem Verständnis und aller Toleranz ist das immer noch etwas, was ich einfach nicht ertragen mag.
Und manchmal vermisse ich die Sonntagsruhe von früher™ ganz extrem. Einfach mal für einen Tag einen Gang zurück schalten, das Tempo raus nehmen, ruhig werden und sein. Wahrnehmen, los lassen, fließen lassen, entspannen. Aber anscheinend fühlen viele Menschen sich dann - ja, was? Verloren? Unbedeutend? Sie halten es nicht aus, nichts zu sagen, sie müssen sich am laufenden Band mitteilen und versichern, dass sie jemand sind, dass sie wichtig sind und nicht allein.
Waren wir schon immer so? Bin ich also einfach alt und empfindlich geworden oder hat die Gesellschaft sich wirklich so sehr verändert?
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Vor kurzem ein schönes Gespräch mit der Tochter, über Lebensträume und was daraus geworden ist. Ich erzählte ihr von dem großen Haus auf dem Land, in dem wir mit anderen Musiker:innen und deren Familien leben, gemeinsam eine Musikschule betreiben und natürlich auch in der Freizeit Musik machen und im Garten steht der Apfelbaum, an dem eine Schaukel hängt und es gibt Gemeinschaftsräume und Plätze, um allein zu sein und überhaupt ist alles friedlich und harmonisch und für einen Moment wurde ich sehr sentimental, bis J. fragte, was dazwischen gekommen ist. “Das Leben, liebes Kind, das Leben.“
Nein, geplant war das so nie, wie es nun ist. Dass da aber die Tochter als Konstante ist, das ist schon verdammt nah an perfekt.
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Das ehrliche Ergebnis vom HSP-Test.
Sie sind mit Gewissheit eine HSP. Und zwar eine mit besonders hoch ausgeprägter Sensibilität. Je mehr sich die eigene Sensibilität von der Mehrheit unterscheidet, umso schwieriger kann es werden, ein stimmiges Umfeld für sich selbst zu finden. Möglicherweise haben Sie in manchen Bereichen, besonders in den zwischenmenschlichen, eine extreme Sicht der Dinge. Das heißt, eine Sichtweise, die sich von der Mehrheit relativ stark unterscheidet. Bitte bedenken Sie, dass weniger sensible Menschen sich ihre Wesensart genauso wenig ausgesucht haben, wie Sie sich die Ihre. Besonders hypersensible Menschen müssen darauf achten, die geringere Sensibilität und das daraus entstehende Verhalten ihrer Mitmenschen nicht als Rücksichtslosigkeit oder gar als Bosheit zu interpretieren. Stark unterschiedliche Wahrnehmungen und Bedürfnisse erschweren das gegenseitige Verständnis und das Zusammenleben. Doch diese Unterschiede können zu einer Bereicherung werden, nämlich dann, wenn man sich gegenseitig verstehen und wertschätzen kann.
Trotz Ihrer sehr dünnen Haut ist es gerade für Sie wichtig, sich in kein Schneckenhaus zu verkriechen. Arbeiten Sie daran, Wege und Möglichkeiten zu finden, um in einer Ihnen angenehmen Weise Kontakt mit den Menschen und der Welt zu halten. Die Welt braucht Sie und Ihre Empfindsamkeit ganz dringend. Sie sind eine Bereicherung.
Möglicherweise haben Sie – wie sehr viele hoch- und hypersensible Menschen – spezielle Schwierigkeiten, sich abzugrenzen. Die Abgrenzung, das Nein-Sagen und das Beharren auf den eigenen Bedürfnissen fallen sehr schwer. Das führt zu unangenehmen Situationen, zu Überforderung und schließlich oft zu Erschöpfung. Oft bleibt hochsensiblen Menschen zuletzt nichts anderes übrig, als sich völlig zurück zu ziehen und/oder krank zu werden.
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