28-08-2022 (Ohne Titel)

(Wie jedes Mal nach einer Pause: mit­ten rein, nicht nach­den­ken, nicht erklä­ren oder gar recht­fer­ti­gen. Auch nicht vor mir selbst. Ein­fach wei­ter schreiben.)

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Je mehr ich mich zurück­ziehe von allem und allen, desto mehr fühle ich mich fehl am Platz. Als stünde ich inmit­ten von Men­schen, die mich gar nicht wahr­neh­men und darum stän­dig anrem­peln. Jede geht ihren eige­nen Weg, ist mit sich selbst beschäf­tigt und ich bleibe wie immer übrig.
Ich bevor­zuge das Allein­sein nicht des­halb, weil ich allein sein möchte, son­dern weil ich, wenn ich nicht gese­hen werde, in der Menge unter­gehe und mich dann ganz ver­liere. Wenn ich alleine bin, kann ich mit der Illu­sion leben, dass ich selbst jemand bin. Ich will aber nicht alleine sein, denn dann ver­küm­mere ich. 

“Ich bin in Gesell­schaft ande­rer oft nicht ich selbst, son­dern so, dass ich dazu passe oder wie ich denke, dass die Men­schen mich haben wol­len (und mögen)”, sagte ich letz­tens zu Frau S. in der The­ra­pie­stunde. “Eigent­lich weiß ich gar nicht, wer und wie ich bin.”

Selbst bei dem HSP-Test (s.u.) mogle ich und stelle mich “bes­ser” (= weni­ger hs) dar, als ich bin. Natür­lich fühlt sich das dann für mich falsch an, aber das kenn ich ja nicht anders.

Seit der letz­ten Erfah­rung mit einer “Freun­din” (die immer wie­der und trotz Ansage mas­siv über meine Gren­zen ging und die mich, nach­dem ich mich deut­lich gewehrt habe, seit­dem kom­plett igno­riert), merke ich aber immer deut­li­cher: ich will die­sen Scheixx nicht mehr.
Ich will mich nicht mehr erklä­ren müs­sen und erst recht nicht ver­stel­len. Men­schen sind, den­ken, füh­len und han­deln unter­schied­lich, aber ich will weder ewig aus­hal­ten und abwar­ten, ob es nicht viel­leicht doch passt noch jeman­den über­zeu­gen, sich mir anzu­pas­sen. Dafür reicht meine Zeit nicht mehr. Ich mag mich nicht mehr rei­ben und strei­ten, ich will gegen­sei­ti­ges Ver­ständ­nis, Anneh­men und Sein las­sen. Ich will Har­mo­nie und Freund­schaft. Da muss auch gar nicht immer alles pas­sen zu 100%, aber wenn ich mich ange­nom­men fühle und anders­rum, dann kann ich mit 90% super gut klar kom­men.
(Und dann finde ich so eine Freun­din und dann wohnt die end­los weit weg. Mein Schicksal.)

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In der letz­ten Zeit ver­su­che ich, mit Lärm tole­ran­ter und ent­spann­ter umzu­ge­hen. Ihn zu akzep­tie­ren als etwas, das ich nicht beein­flus­sen oder abstel­len kann, vor allem aber als etwas, das vor­über geht. Die Kin­der auf dem Spiel­platz krei­schen nicht den gan­zen Tag, son­dern “nur” 2 Stun­den. Der LKW mit der Lie­fe­rung für den Asi­al­aden und der ner­vi­gen Küh­lung fährt nach einer Vier­tel­stunde weg. Das Ele­fan­ten­junge von oben wird irgend­wann in die Kita gebracht und tram­pelt dort wei­ter. Die Gäste im Restau­rant haben irgend­wann fer­tig geges­sen und dann kom­men die nächs­ten und nach einer Weile poten­tiert sich der Lärm und alle müs­sen immer lau­ter wer­den, um sich noch zu ver­ste­hen und nein, wirk­lich und bei allem Ver­ständ­nis und aller Tole­ranz ist das immer noch etwas, was ich ein­fach nicht ertra­gen mag.
Und manch­mal ver­misse ich die Sonn­tags­ruhe von frü­her™ ganz extrem. Ein­fach mal für einen Tag einen Gang zurück schal­ten, das Tempo raus neh­men, ruhig wer­den und sein. Wahr­neh­men, los las­sen, flie­ßen las­sen, ent­span­nen. Aber anschei­nend füh­len viele Men­schen sich dann - ja, was? Ver­lo­ren? Unbe­deu­tend? Sie hal­ten es nicht aus, nichts zu sagen, sie müs­sen sich am lau­fen­den Band mit­tei­len und ver­si­chern, dass sie jemand sind, dass sie wich­tig sind und nicht allein.

Waren wir schon immer so? Bin ich also ein­fach alt und emp­find­lich gewor­den oder hat die Gesell­schaft sich wirk­lich so sehr verändert? 

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Vor kur­zem ein schö­nes Gespräch mit der Toch­ter, über Lebens­träume und was dar­aus gewor­den ist. Ich erzählte ihr von dem gro­ßen Haus auf dem Land, in dem wir mit ande­ren Musiker:innen und deren Fami­lien leben, gemein­sam eine Musik­schule betrei­ben und natür­lich auch in der Frei­zeit Musik machen und im Gar­ten steht der Apfel­baum, an dem eine Schau­kel hängt und es gibt Gemein­schafts­räume und Plätze, um allein zu sein und über­haupt ist alles fried­lich und har­mo­nisch und für einen Moment wurde ich sehr sen­ti­men­tal, bis J. fragte, was dazwi­schen gekom­men ist. “Das Leben, lie­bes Kind, das Leben.“
Nein, geplant war das so nie, wie es nun ist. Dass da aber die Toch­ter als Kon­stante ist, das ist schon ver­dammt nah an perfekt.

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Das ehr­li­che Ergeb­nis vom HSP-Test.

Sie sind mit Gewiss­heit eine HSP. Und zwar eine mit beson­ders hoch aus­ge­präg­ter Sen­si­bi­li­tät. Je mehr sich die eigene Sen­si­bi­li­tät von der Mehr­heit unter­schei­det, umso schwie­ri­ger kann es wer­den, ein stim­mi­ges Umfeld für sich selbst zu fin­den. Mög­li­cher­weise haben Sie in man­chen Berei­chen, beson­ders in den zwi­schen­mensch­li­chen, eine extreme Sicht der Dinge. Das heißt, eine Sicht­weise, die sich von der Mehr­heit rela­tiv stark unter­schei­det. Bitte beden­ken Sie, dass weni­ger sen­si­ble Men­schen sich ihre Wesens­art genauso wenig aus­ge­sucht haben, wie Sie sich die Ihre. Beson­ders hyper­sen­si­ble Men­schen müs­sen dar­auf ach­ten, die gerin­gere Sen­si­bi­li­tät und das dar­aus ent­ste­hende Ver­hal­ten ihrer Mit­men­schen nicht als Rück­sichts­lo­sig­keit oder gar als Bos­heit zu inter­pre­tie­ren. Stark unter­schied­li­che Wahr­neh­mun­gen und Bedürf­nisse erschwe­ren das gegen­sei­tige Ver­ständ­nis und das Zusam­men­le­ben. Doch diese Unter­schiede kön­nen zu einer Berei­che­rung wer­den, näm­lich dann, wenn man sich gegen­sei­tig ver­ste­hen und wert­schät­zen kann.

Trotz Ihrer sehr dün­nen Haut ist es gerade für Sie wich­tig, sich in kein Schne­cken­haus zu ver­krie­chen. Arbei­ten Sie daran, Wege und Mög­lich­kei­ten zu fin­den, um in einer Ihnen ange­neh­men Weise Kon­takt mit den Men­schen und der Welt zu hal­ten. Die Welt braucht Sie und Ihre Emp­find­sam­keit ganz drin­gend. Sie sind eine Bereicherung.

Mög­li­cher­weise haben Sie – wie sehr viele hoch- und hyper­sen­si­ble Men­schen – spe­zi­elle Schwie­rig­kei­ten, sich abzu­gren­zen. Die Abgren­zung, das Nein-Sagen und das Behar­ren auf den eige­nen Bedürf­nis­sen fal­len sehr schwer. Das führt zu unan­ge­neh­men Situa­tio­nen, zu Über­for­de­rung und schließ­lich oft zu Erschöp­fung. Oft bleibt hoch­sen­si­blen Men­schen zuletzt nichts ande­res übrig, als sich völ­lig zurück zu zie­hen und/oder krank zu werden.

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