Laurie, die fünfunddreißigjährige Chefin einer Bostoner Hypothekenfirma, hebt die Hand. »Ich hab keinen Hunger, aber ich hätte gern welchen. Ich will auf jeden Fall essen.«
aus Geneen Roth: Essen ist nicht das Problem
»Warum?«, frage ich.
»Weil das Essen gut aussieht, und weil es hier direkt vor mir steht. Es ist der beste Seelentröster, den es gibt. Was ist falsch daran, wenn man sich vom Essen wünscht, dass es einen tröstet?«
»Überhaupt nichts«, erwidere ich. »Essen ist gut, und Trost ist gut. Aber wenn du keinen Hunger hast und Balsam für die Seele brauchst, lindert Essen den Schmerz nur vorübergehend. Warum gehst du das Unbehagen nicht direkt an?«
»Es ist zu schwierig, die Dinge direkt anzugehen, es tut zu weh, und der Schmerz wird nie ganz verschwinden. Und wenn es sowieso endlos wehtun wird, habe ich wenigstens das Essen«, erwidert sie.
»Du meinst also, das Beste, was du vom Leben bekommen kannst, ist kalte Gemüsesuppe?«
Als sie weiterspricht, bebt ihre Stimme. »Es ist der einzig wirkliche Trost, den ich habe, und ich werde nicht auf ihn verzichten.«
Eine Träne läuft über ihre rechte Wange, bleibt an ihrer Oberlippe hängen. Zustimmendes Kopfnicken. Eine Woge von Gemurmel läuft durch den Kreis.
Ich hab dieses Buch schon seit ein paar Jahren liegen, bin aber nie wirklich über das Vorwort - aus dem der oben zitierte Abschnitt stammt - hinaus gekommen. Zu groß ist die Angst, mich mit dem Thema Essen zu beschäftigen, denn es hat mit Liebe und Verlust, Vernachlässigung und dem großen Gefühl des Ungeliebt-Seins zu tun.
Dennoch sind zwei Sätze aus dem Zitat ganz fest in meinem Kopf hängen geblieben und jedes Mal, wenn ich an sie denke oder sie lese, hab ich diesen Kloß im Hals. Weil sie so verdammt zutreffen. Weil sie haargenau beschreiben, wie es mir ging damals. Damals: als ich anfing, mich mit Essen zu trösten.
“Wenn es sowieso endlos wehtun wird, habe ich wenigstens das Essen. […] Es ist der einzig wirkliche Trost, den ich habe.”
Ich will das alles so gerne aufarbeiten und irgendwann überwinden und hinter mir lassen. Morgen ist die monatliche Therapiestunde und ich werde anfangen, darüber zu reden. Und vielleicht kann ich dann auch hier darüber schreiben.
Oh, du Mutige. Ja, bitte tu das. Hier schreiben, wenn du magst. Oder auch für dich selbst. <3