29-06-2025 Neue Impulse

Ursprüng­lich hatte ich mir vor­ge­nom­men, jeden Tag zu blog­gen von all dem, was hier in der Kli­nik so pas­siert, aber inzwi­schen ist mein Plan so gut gefüllt, dass ich ent­we­der keine Zeit hab oder abends ein­fach nur müde bin.

Zu dem Pro­gramm, von dem ich im vor­letz­ten Bei­trag schrieb, sind noch zwei Ein­hei­ten Ergo­me­ter­trai­ning in der Gruppe (mor­gens um 7 Uhr! VOR dem Früh­stück!!) und zwei­mal pro Woche DBT (Dia­lek­tisch-Beha­vi­orale The­ra­pie) dazu gekom­men. Dafür gibt es lei­der kein wei­te­res Ein­zel­ge­spräch mit der Ernäh­rungs­the­ra­peu­tin.
Mitt­woch und Frei­tag sind rela­tiv ent­spannt, weil da bis auf DBT keine The­ra­pie­sa­chen sind. Mon­tag, Diens­tag und Don­ners­tag drängt es sich dafür, da wird die Psy­che ordent­lich ange­regt - oder stra­pa­ziert? “Gefor­dert” trifft es ganz gut.
Außer­halb vom Was­ser finde ich Sport immer noch doof, aber das ist was ganz ande­res, als wenn wir über uns selbst, über Ver­gan­ge­nes und Schmerz­haf­tes aus unse­rem Leben reden und nach­den­ken. Aber das ganze Adi­po­si­tas­kon­zept, in das ich jetzt ein­ge­bun­den bin, ist sehr gut durch­dacht und auf­ein­an­der abge­stimmt. Die Mischung aus the­ra­peu­ti­schen und sport­li­chen Ter­mi­nen passt, es gibt Erho­lungs­pha­sen und Zeit zum nach­den­ken oder ganz ande­res zu tun.

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Sehr gut finde ich die DBT. Man­ches davon kenne ich aus ande­ren Kli­ni­ken schon, aber in einer neuen Gruppe ent­ste­hen ja immer neue Dinge. (Ich werde noch aus­führ­lich dar­über schrei­ben.)
Span­nend war, dass der Psy­cho­loge, der das lei­tet, mich am Ende fragte, was ich beruf­lich mache. Auf meine Ant­wort, dass ich Musik­päd­ago­gin war, sagte er nur “Ja.” Auf Rück­frage meinte er, ich sei ana­ly­tisch, genau und auf den Punkt, darum passte das in seine Vor­stel­lung. Ich gestehe: es hat mir gut getan und mich gefreut. Und ich bin gespannt, wie es wei­ter geht.

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Und dann war da letz­ten Don­ners­tag noch das Ein­zel­ge­spräch mit der Ernäh­rungs­the­ra­peu­tin, bei dem das erste Mal auch Trä­nen lie­fen.
Sie fragte nach der Fami­lie, wie ich auf­wuchs, wie ich mich fühlte. Nach wich­ti­gen Ereig­nis­sen, Lebens­um­stän­den, Ver­än­de­run­gen, was das mit mir machte, wie es mir ging an den ein­zel­nen Sta­tio­nen. Immer wie­der dabei die Frage nach dem Essen, ob es schwie­rige Pha­sen gab und warum, wann ich anfing zuzu­neh­men und was da in mei­nem Leben pas­siert war.
Sie fühlte mit, fragte nach, gab mir Zeit (und Taschen­tü­cher und einen Knet­ball) und am Ende eine feste Umarmung.

Fazit des Gesprächs: mein Pro­blem liegt wie ver­mu­tet in der Kind­heit und es mani­fes­tiert sich immer und fast aus­schließ­lich in der war­men Mahl­zeit. Früh­stück und Abend­essen waren frü­her (zumin­dest in mei­ner Erin­ne­rung, aber um die geht es ja) unpro­ble­ma­tisch und sind es auch heute noch. Ich bekomme bei die­sen Mahl­zei­ten aus­rei­chend Nah­rung, ich denke wenig dar­über nach, mein Gefühl ist posi­tiv und ich merke gut, wenn ich satt bin.
Die Mit­tags­mahl­zeit jedoch, also das, was ich täg­lich koche und was täg­lich vari­iert, trig­gert immer wie­der, oft auch unbe­wußt. Immer noch habe ich Angst, dass es nicht genug gibt und dass ich hun­gern muss. Immer noch koche und esse ich zu viel aus Angst, dass nichts für mich übrig bleibt und dass es danach nichts mehr gibt. Und immer noch ist da ganz tief innen die Anspan­nung prä­sent, ob der Vater heute gut oder schlecht gelaunt ist, ob man was sagen darf oder gleich eine Ohr­feige bekommt, ob man auf­es­sen darf (auch wenn es oft nicht schmeckte) oder vor­her ins Bett geschickt wird, ob man auf­es­sen muss und dazu stun­den­lang alleine in der Küche sitzt und/ oder den Rest am Abend kalt wie­der vor sich ste­hen hat.
Die warme Mahl­zeit bestand aus Angst und diese Angst liegt mir immer noch im Magen. Aber ich brau­che sie heute nicht mehr. Ich bestimme selbst, was es zu essen gibt. Ich darf spü­ren, dass ich satt bin und dann auf­hö­ren zu essen, weil das Essen nicht ver­schwin­det dadurch. Ich muss keine Reste auf­es­sen, wenn ich nicht mehr mag. Nie­mand tut mir Gewalt an, aus wel­chem Grund auch immer und schon gar nicht beim oder wegen dem Essen. Ich kann mir Zeit las­sen und bewußt genie­ßen, weil mir schmeckt, was ich koche. Ich muss kei­nen Quark mehr essen, nie wie­der. Und kei­nen Broc­coli, nur weil er gesund ist. Ich darf Hun­ger haben, weil mein Kör­per mir dadurch sagt, dass und was er braucht. Ich darf Appe­tit haben und mit Appe­tit essen, bis ich satt bin. Ich muss mich nicht voll stop­fen, es gibt wie­der Nah­rung, wenn mein Kör­per sie braucht und den Bedarf mel­det. Und Nach­tisch ist erlaubt, genauso wie Erd­nuss­flips, solange ich Maß halte.

Übri­gens: Essen ist eine Tätig­keit und ver­dient die glei­che Auf­merk­sam­keit wie alles andere, das ich den Tag über mache.

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Bei der ers­ten Visite nach einer Woche fragte der Ober­arzt, wie es mir ginge. “Gut”, sagte ich, “rich­tig gut”. Dar­auf­hin er: “Das kann eigent­lich nicht sein, sonst wären Sie ja nicht hier.”

Doch, es geht mir wirk­lich gut. Alleine schon, dass ich mich um fast nichts küm­mern muss, ist eine Wohl­tat. Dass ich nicht pla­nen, ein­kau­fen und kochen muss und dann noch über­le­gen, ob das alles auch ver­nünf­tig ist. Ich kann alles essen, was ange­bo­ten wird, weil eben alles aus­ge­wo­gen ist und mir gibt, was ich brau­che. Nichts von dem, was wir bekom­men, ist unge­sund. Auch der täg­li­che Nach­tisch und der Sonn­tags­ku­chen sind ein­gerch­net und dür­fen mit gutem Gefühl geges­sen werden.

Ich genieße auch, dass ich mich nicht stän­dig “rich­tig” anzie­hen muss - Leg­gins und T-Shirt sind völ­lig nor­mal. Außer­dem sind die Wege kurz: zum MTT gehe ich in Sport­klei­dung und zum Schwim­men in Bade­an­zug, Bade­man­tel und Flip-Flops, weil ich danach sowieso in mei­nem Bade­zim­mer dusche. Ich laufe aber im Ver­gleich zu sonst rela­tiv viel, denn mein Zim­mer ist weit im lin­ken Flü­gel des Gebäu­des, ca. 250 Schritte vom Spei­se­saal ent­fernt. Nur für die Ter­mine im 4. oder im 5. Stock nehme ich den Auf­zug, ansons­ten gehe ich zu Fuß die Treppe run­ter und rauf. Mei­nem Knie tut es gut und erstaun­li­cher­weise meckert der rechte Fuß über­haupt nicht. Und nächste Woche darf ich wie­der auf die Waage und bin mega gespannt. Es fühlt sich nach knapp 2 kg an, die ich ver­lo­ren habe, eben auch durch die vie­len Wege durch’s Haus.

Noch viel wich­ti­ger ist aber, dass ich viel über mich lerne, nicht nur in Bezug auf Essen, und dass ich bei allem so sehr bei mir bin wie lange nicht mehr. Hier ent­ste­hen durch die vie­len neuen Impulse so viele neue Gedan­ken und Erkennt­nisse, mit denen ich wei­ter arbei­ten kann und die mich voran brin­gen. Eine die­ser Erkennt­nisse ist:

Ich will nicht mehr lei­den. Ich will wie­der gut leben.

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