Wenn ich einfach mal rechne - und alle Umstände, die dagegen sprechen, beiseite lasse -, dass ich 80 Jahre alt werde, dann hab ich jetzt etwa 4/5 davon hinter mich gebracht. Oder überstanden? Erlebt, denke ich dieser Tage.
In so manchen Gesprächen der letzten Zeit ist mir wieder einmal deutlich geworden, wer und wie ich bin. Und inzwischen kann ich das, naja, so etwa zur Hälfte oder auch mehr akzeptieren. Kann annehmen, dass ich _so_ bin und mich nicht mehr ändern werde.
So ist: ich bin keine, die Pläne macht und dann zielstrebig drauf zu geht und daran fest hält, egal was kommt - das wird immer deutlicher. Ich habe Wünsche und Träume, Vorstellungen, das ja. Aber ich brauche Zeit, viel Zeit, zum nachdenken, abwägen, überlegen, los gehen. Und wenn ich doch nicht erreiche, was ich mir wünsche, wenn da mehrmals was dazwischen kommt, dann geb ich auf. Dann geh ich eben anders weiter.
Ich lass mich viel eher treiben mit dem Fluß, schlängel mich durch die Landschaften meines Lebens, verweile hier und da, mach mich breit und mir ein gemütliches Bett, ich hab keine Eile. Wenn dann doch mal eine enge Stelle kommt, die sich womöglich zur Stromschnelle oder gar zum Wasserfall entwickelt, dann wird es schwierig, dafür bin ich nicht gemacht, da schlägt mir auch mal das Wasser überm Kopf zusammen. Aber bis jetzt bin ich immer noch jedesmal wieder aufgetaucht. Mit den Blessuren hab ich zu leben gelernt.
Ich hab auch keinen übertriebenen Ehrgeiz und Wettbewerbe sind nicht mein Ding. In etwas richtig gut zu sein, ist toll, dafür Anerkennung zu bekommen auch, aber ich mag mich nicht mehr dafür übertrieben anstrengen, das ging nicht nur einmal schief. Mit manchen Ereignissen hab ich lange gehadert, mich gefragt, ob ich etwas hätte tun oder anders tun können. Aber ein Fluß kann nicht stoppen und umdrehen und zurück fließen an eine frühere Stelle. Und so manches stellt sich im Nachhinein als genau richtig heraus.
Wenn ich dies gemacht hätte und das nicht, wäre das nicht passiert, hätte ich jemanden nicht getroffen, einen Seitenweg nicht gefunden, wäre ganz woanders gelandet. Wäre ich in der Schule nicht gewesen, was die Lehrer:innen faul nannten, dann hätte ich Abi gemacht und was ganz anderes studiert. Dann wäre ich nicht nach Hamburg gekommen, hätte nicht Musik gemacht, keinen neuen Beruf, andere Länder, neue Leidenschaften gefunden und hätte vor allem genau dieses Kind nicht bekommen und das wäre wirklich unendlich schade gewesen. Denn genau diese Tochter ist für andere Menschen genau richtig und alleine dafür bin ich froh, dass alles so war. Selbst der Eine, der mit dem ich so gerne alt geworden wäre und der mit seinem Weggang diese so tiefe Narbe auf meiner Seele hinterließ, selbst diesen Abschnitt kann ich heute einfach sehen als etwas, das ungeheuer wichtig für mich war, das mich geprägt hat auf vielerlei Weise. Ich bin dankbar, dass ich diese Zeit hatte.
So zu sein heißt (leider) auch, trotzdem nur ganz schwer loslassen zu können, am liebsten alles zu lassen wie es ist, auch wenn es nicht gut ist, meinen Ballast so lange im Fluß zu behalten, bis er den Weg verstopft und ich nicht weiter komme.
So zu sein heißt auch, nicht besonders mutig zu sein, unangenehmes weg zu drücken, eigentlich einfaches nicht zu können.
So zu sein heißt, höchst emotional, sentimental, hochsensibel, fröhlich, traurig, melancholisch, albern, müde, vorlaut, nachtragend, witzig, ironisch, tiefsinnig, spielerisch, kreativ, nah am Wasser und oft lebenslustig zu sein. Ach, und hab ich schon emotional erwähnt? Ich bin oben und unten, hier und da, warm und kalt, aber immer im Fluß. Und wenn der Fluß irgendwann ins Meer fließt, bin ich glücklich.
Ich nehme es jetzt an, dass alles fließt, dass alles sein soll und einen Sinn hat. Ich mag mein letztes Fünftel nicht mehr mit Kampf verbringen, sondern mit leben und sein.
(Erinnert mich gegebenenfalls daran.)
Salute. Auf die 65.

Herzlichen Glückwunsch. Ich bin noch etwas jünger, kann diese Gedanken aber nachvollziehen. Manchmal denke ich mir: bis hierher habe ich es geschafft, das war schon mal nicht schlecht, und nicht unbedingt abzusehen. Dafür bin ich dankbar.
Dankeschön!
Ja, die Dankbarkeit teil ich mit dir. Das ist nicht selbstverständlich, so weit zu kommen. Ich hab meine Mutter inzwischen um zwei Jahre “überholt”.