31-10-2024 Vierfünftel ungefähr

Wenn ich ein­fach mal rechne - und alle Umstände, die dage­gen spre­chen, bei­seite lasse -, dass ich 80 Jahre alt werde, dann hab ich jetzt etwa 4/5 davon hin­ter mich gebracht. Oder über­stan­den? Erlebt, denke ich die­ser Tage.

In so man­chen Gesprä­chen der letz­ten Zeit ist mir wie­der ein­mal deut­lich gewor­den, wer und wie ich bin. Und inzwi­schen kann ich das, naja, so etwa zur Hälfte oder auch mehr akzep­tie­ren. Kann anneh­men, dass ich _so_ bin und mich nicht mehr ändern werde.
So ist: ich bin keine, die Pläne macht und dann ziel­stre­big drauf zu geht und daran fest hält, egal was kommt - das wird immer deut­li­cher. Ich habe Wün­sche und Träume, Vor­stel­lun­gen, das ja. Aber ich brau­che Zeit, viel Zeit, zum nach­den­ken, abwä­gen, über­le­gen, los gehen. Und wenn ich doch nicht errei­che, was ich mir wün­sche, wenn da mehr­mals was dazwi­schen kommt, dann geb ich auf. Dann geh ich eben anders wei­ter.
Ich lass mich viel eher trei­ben mit dem Fluß, schlän­gel mich durch die Land­schaf­ten mei­nes Lebens, ver­weile hier und da, mach mich breit und mir ein gemüt­li­ches Bett, ich hab keine Eile. Wenn dann doch mal eine enge Stelle kommt, die sich womög­lich zur Strom­schnelle oder gar zum Was­ser­fall ent­wi­ckelt, dann wird es schwie­rig, dafür bin ich nicht gemacht, da schlägt mir auch mal das Was­ser überm Kopf zusam­men. Aber bis jetzt bin ich immer noch jedes­mal wie­der auf­ge­taucht. Mit den Bles­su­ren hab ich zu leben gelernt.
Ich hab auch kei­nen über­trie­be­nen Ehr­geiz und Wett­be­werbe sind nicht mein Ding. In etwas rich­tig gut zu sein, ist toll, dafür Aner­ken­nung zu bekom­men auch, aber ich mag mich nicht mehr dafür über­trie­ben anstren­gen, das ging nicht nur ein­mal schief. Mit man­chen Ereig­nis­sen hab ich lange geha­dert, mich gefragt, ob ich etwas hätte tun oder anders tun kön­nen. Aber ein Fluß kann nicht stop­pen und umdre­hen und zurück flie­ßen an eine frü­here Stelle. Und so man­ches stellt sich im Nach­hin­ein als genau rich­tig her­aus.
Wenn ich dies gemacht hätte und das nicht, wäre das nicht pas­siert, hätte ich jeman­den nicht getrof­fen, einen Sei­ten­weg nicht gefun­den, wäre ganz woan­ders gelan­det. Wäre ich in der Schule nicht gewe­sen, was die Lehrer:innen faul nann­ten, dann hätte ich Abi gemacht und was ganz ande­res stu­diert. Dann wäre ich nicht nach Ham­burg gekom­men, hätte nicht Musik gemacht, kei­nen neuen Beruf, andere Län­der, neue Lei­den­schaf­ten gefun­den und hätte vor allem genau die­ses Kind nicht bekom­men und das wäre wirk­lich unend­lich schade gewe­sen. Denn genau diese Toch­ter ist für andere Men­schen genau rich­tig und alleine dafür bin ich froh, dass alles so war. Selbst der Eine, der mit dem ich so gerne alt gewor­den wäre und der mit sei­nem Weg­gang diese so tiefe Narbe auf mei­ner Seele hin­ter­ließ, selbst die­sen Abschnitt kann ich heute ein­fach sehen als etwas, das unge­heuer wich­tig für mich war, das mich geprägt hat auf vie­ler­lei Weise. Ich bin dank­bar, dass ich diese Zeit hatte.

So zu sein heißt (lei­der) auch, trotz­dem nur ganz schwer los­las­sen zu kön­nen, am liebs­ten alles zu las­sen wie es ist, auch wenn es nicht gut ist, mei­nen Bal­last so lange im Fluß zu behal­ten, bis er den Weg ver­stopft und ich nicht wei­ter komme.
So zu sein heißt auch, nicht beson­ders mutig zu sein, unan­ge­neh­mes weg zu drü­cken, eigent­lich ein­fa­ches nicht zu kön­nen.
So zu sein heißt, höchst emo­tio­nal, sen­ti­men­tal, hoch­sen­si­bel, fröh­lich, trau­rig, melan­cho­lisch, albern, müde, vor­laut, nach­tra­gend, wit­zig, iro­nisch, tief­sin­nig, spie­le­risch, krea­tiv, nah am Was­ser und oft lebens­lus­tig zu sein. Ach, und hab ich schon emo­tio­nal erwähnt? Ich bin oben und unten, hier und da, warm und kalt, aber immer im Fluß. Und wenn der Fluß irgend­wann ins Meer fließt, bin ich glücklich.

Ich nehme es jetzt an, dass alles fließt, dass alles sein soll und einen Sinn hat. Ich mag mein letz­tes Fünf­tel nicht mehr mit Kampf ver­brin­gen, son­dern mit leben und sein.

(Erin­nert mich gege­be­nen­falls daran.)

Salute. Auf die 65.

2 Kommentare

  1. Herz­li­chen Glück­wunsch. Ich bin noch etwas jün­ger, kann diese Gedan­ken aber nach­voll­zie­hen. Manch­mal denke ich mir: bis hier­her habe ich es geschafft, das war schon mal nicht schlecht, und nicht unbe­dingt abzu­se­hen. Dafür bin ich dankbar.

    1. Dan­ke­schön!
      Ja, die Dank­bar­keit teil ich mit dir. Das ist nicht selbst­ver­ständ­lich, so weit zu kom­men. Ich hab meine Mut­ter inzwi­schen um zwei Jahre “über­holt”.

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