Mein anderes Ich reist an fremde Orte, lernt Cello spielen, vertraut auf Bauchgefühle und hält sich nicht an überholte Regeln. Es lächelt still vergnügt und ist sich seines Seins wohl bewusst.
… während dieses Ich zweifelt und hadert und Angst hat vor jedem Schritt und dabei trauert, weil das andere Ich zwar spürbar ist, aber so unendlich weit entfernt scheint.
Eigentlich wollte ich nur diesen kurzen Gedanken hier lassen, den ich gestern beim Sonne-und-Farben-tanken im Park hatte. Jetzt, beim Schreiben, wird mir bewußt, dass es mich in meiner Erinnerung schon immer als zwei Ichs gibt: eine, die ich bin und eine, die ich sein könnte und gerne wäre. Und wieder einmal zerreißt es mich innerlich.
Warum habe ich nie an mich glauben können? Warum war ich es mir selbst nie wert, meine Träume zu verwirklichen? Warum habe ich so oft in meinem Leben nur reagiert, statt zu agieren?
Jeden Verlust, jeden Fehlschlag, jeden Vertrauensbruch, jedes Hintenan-gestellt-werden… habe ich hingenommen in dem Gefühl, es stünde mir nicht anders zu. So habe ich es gelernt, meine ganze Kindheit und Jugend durch.
Du willst etwas? Keine Zeit, kein Geld, erst kommen die anderen. Dir wurde was genommen? Stell dich nicht so an. Deine beste Freundin hat sich eine andere gesucht? Dann hast du wohl nicht genügt. Dein Freund hat dich verlassen? Das kann nur an dir gelegen haben. Du willst gar nicht Musik studieren, wie wir es seit Jahren für dich geplant haben? Das ist ein Privileg, respektiere das gefälligst! Du hast einen anderen Traum? Vergiss es, das schaffst du eh nie!
Wie kann ich jetzt noch lernen, mir zu glauben? Wie kann ich jetzt noch mein anderes Ich werden?