Depression Notes 24-04-2020

Musik ist eine zarte Säge,
die ein­fach ein­dringt
in den Leib
und die
feder­leich­ten Teile
von den schwe­ren trennt.

Fre­de­rike Frei

Vor eini­gen Tagen oder viel­mehr Näch­ten bin ich auf alte, lang nicht mehr gehörte Musik gesto­ßen, die mir seit­dem nicht mehr aus dem Kopf geht (und zu mei­nem Glück auch zu hören ist, ganz in echt. Ich sag nur: Dau­er­schleife.).
Sie macht glück­lich, sen­ti­men­tal, trau­rig, sehn­suchts­voll, melan­cho­lisch, hab ich schon sen­ti­me­tal erwähnt? - alles auf ein­mal. Nicht abwech­selnd, son­dern tat­säch­lich ein ein­zi­ger Gefühls­mix, der bis in die Träume reicht.
Was Musik eben so macht mit einem:einer. Hachja.

(Nein, ich ver­rate nicht, wel­che Musik das ist. Reicht doch schon, dass ich mich hier mit Eros geoutet hab, oder?)

Ges­tern hab ich es zwei­mal zu jeman­dem gesagt und es stimmt wirk­lich: mir geht es grade rich­tig gut. Nicht, dass es keine doo­fen Momente gäbe oder auch mal einen Tag, den ich ein­fach vor­bei zie­hen lasse, weil er eher “naja” ist, aber die ganze Grund­stim­mung ist gut. Da ist kein Loch in Sicht, noch nicht­mal eine Grube. Seit ich Igor nicht mehr als Feind sehe, liegt er still in sei­nem Körb­chen und guckt mich zufrie­den an. Auch, dass in der The­ra­pie eini­ges ansteht (siehe mei­nen Bei­trag vom 16.04.) schreckt mich nicht so sehr, dass ich Panik krie­gen müsste. Es ist okay, ich muss da ran, es wird sicher nicht schön, aber es wird danach hof­fent­lich etwas leich­ter.
In mei­nem Kopf krei­sen natür­lich wei­ter­hin die Gedan­ken um alte Mus­ter aus der Kind­heit, um ver­quere Ein­stel­lun­gen, die so vie­les be- und ver­hin­dern, um tau­send Fra­gen, auf die ich noch immer keine Ant­wort habe oder auf die die Ant­wort je nach Ver­fas­sung anders aus­fällt (immer wie­der gerne: hab ich das ver­dient, darf ich glück­lich sein, darf ich so leben? Aber das gibt einen eige­nen Bei­trag hier, dem­nächst). Trotz­dem bin ich ent­spann­ter, gelas­se­ner, zuver­sicht­li­cher irgend­wie. Da ist ein fri­sches Blau im Grau, das ist schön.

Es gab ein paar Mails mit der Schwes­ter, mit der ich letz­tes Jahr den Kon­takt abge­bro­chen habe. Ein Fami­li­en­thema, es ging um die Gedichte des Groß­va­ters. Ohne hier in Ein­zel­hei­ten zu gehen: aus ihren Sät­zen las ich erneut, dass sie nicht ver­ste­hen kann, was Depres­sion bedeu­tet. Noch vor eini­ger Zeit hätte ich mich auf­ge­regt, ihr ver­mut­lich bis­sig-sar­kas­tisch zurück geschrie­ben - jetzt denke ich: dann ist es eben so. Ich werde nichts ändern an ihrer Sicht­weise, wenn ich mich ärgere. Sie hat ihre Gründe und das ist okay. Es bedeu­tet zwar auch, dass ich wei­ter­hin kei­nen wirk­li­chen Kon­takt mit ihr haben werde (weil es auf Dauer dann doch an meine Sub­stanz geht), aber dann ist auch das eben so.
Auch hier ist wie­der die neue Gelas­sen­heit, die ich so an mir nicht gut kenne. Ob ich sie hal­ten kann?

****

Was das Coro­na­dings angeht, ist die Stufe 5 (Akzep­tanz / Inte­gra­tion) aber für mich nach wie vor weit weg. Nur der erste Schock klingt jetzt etwas ab und ich pendle zwi­schen den Stu­fen 2 und 4. Ich höre den Fach­leu­ten zu, allen voran C. Dros­ten, und ich werde mir immer mehr bewußt, dass ich nur auf mein eige­nes Gefühl hören darf, egal was Men­schen sagen, denen ich i.d.R. ver­traue.
ICH muss da raus ein- bis zwei­mal in der Woche, das heißt ICH muss tun, womit ich mich irgend­wie wohl fühle. Der Gedanke, dass das alles noch sehr lange dau­ern wird - bis nächs­tes Jahr?? - ist grau­en­haft, aber dann trag ich den blö­den Mund-Nase-Schutz eben so lange. Dann geh ich eben die­ses Jahr nicht in den Park zu den Men­schen­mas­sen - ich war in den letz­ten Jah­ren auch sel­ten da und hab es nicht groß ver­misst.

Aber ja, im Ver­gleich zu vie­len ande­ren geht es mir ja gut in die­ser neuen Situa­tion: ich kann gut alleine sein, ver­meide das Drau­ßen und die Men­schen ja eh schon lange, muss kein Kind betreuen und nicht arbei­ten, mein Geld ist wenig, aber pünkt­lich und sicher jeden Monat auf dem Konto. Ich muss des­we­gen kein schlech­tes Gewis­sen haben. (Okay, am letz­ten arbeite ich noch. Das ist noch nicht dau­er­haft im Bewußt­sein ange­kom­men.)

Nur die Toch­ter und der Enkel feh­len mir, sehr. Tele­fo­nie­ren ist kein Ersatz für eine fühl­bare, echte Umar­mung.
Was heute im Spie­gel zu lesen war: “Man kann sich dabei als Faust­re­gel mer­ken, dass man sich nur mit einem klei­nen Kreis von Leu­ten regel­mä­ßig tref­fen sollte. Und die­ser Kreis sollte mög­lichst gleich, also sta­bil, blei­ben. Solange man die Kon­takte nach­voll­zie­hen kann, hilft das sehr, Infek­ti­ons­ket­ten wie­der zu stop­pen.” (Mela­nie Brink­mann, Viro­lo­gin am Helm­holtz-Zen­trum)
Unter die­sen Vor­aus­set­zun­gen könnte es gehen, dass man sich inner­halb der Fami­lie z.B. sehen kann, das würde sicher vie­len Men­schen hel­fen, die Zeit bes­ser zu überstehen. 

Und solange das Meer in wei­ter Ferne liegt dank des Virus, stö­ber ich in alten Fotos und gehe auf ver­gan­gene Rei­sen, ohne das Haus zu ver­las­sen. So geht’s auch irgendwie.

2 Kommentare

  1. Das klingt rich­tig tröst­lich und ich freue mich sehr, dass es gerade so ist. Und ich wün­sche mir so sehr, dass es so bleibt, also die igor­be­ding­ten Abs dich nicht mehr soo aus­kno­cken wie “frü­her”.
    *freu­freu*

Schreib einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert