Um an die letzten Notes anzuknüpfen:
Die Obernachbarn sind leider doch genauso laut wie immer. Nur dass jetzt alle drei den ganzen Tag zuhause sind und laut sind.
(Gestern stand hier noch ein langer Text, in dem ich über sie geschimpft hab. Aber eigentlich will ich das hier nicht haben, darum ist er weg.)
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An so manchen Stellen ist es grade zu lesen: wir alle gehen durch diese Zeit wie durch die 5 Phasen der Trauer. Ich pendle weiterhin - manchmal nur täglich, manchmal aber auch stündlich - zwischen der ersten und der vierten Phase hin und her. Ganz selten mal blitzt für einen Moment ein Gedanke auf wie “es ist eben wie es ist”. Er hält noch nicht lange.
Der Schock darüber, dass das alles jetzt da ist, dass es so weltumspannend ist, dass Menschen sterben und so viele nicht wissen, wie es weiter gehen soll: der sitzt tief und ist noch lange nicht überwunden. Begreifen kann ich das nicht.
Gestern wurde in Österreich und auch in Jena das Tragen eines Mundschutzes verordnet. In Hamburg sind sie erst vereinzelt zu sehen, aber je mehr es werden und je bunter die selbstgenähten Mundschutze sind, desto normaler wird es. Ist das ein Weg in die 5. Trauerphase, die Akzeptanz?
Das blöde ist: bei allem, was über meinem Gesicht und eng am Hals liegt, kriege ich Panikgefühle, als würde ich keine Luft mehr bekommen. Dass ich früher unter der Bettdecke gelesen habe, ist heute undenkbar. Ich trage Schals und Tücher draußen, aber nur, wenn sie ganz locker sind oder am besten gar nicht rumgewickelt. Ich weiß nicht, warum es so ist, ich weiß nur, dass es so ist.
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Aber ich gehe wieder zur Therapie. Weil ich es brauche, so sehr.
Die Bahnen und Busse sind fast leer, alle halten Abstand - ein Paradies für uns Sozialgestörten. Endlich kann ich mal entspannt sein in diesem öffentlichen Raum und muss keine Sorge haben, wer sich als nächstes und vor allem wie nah neben mich setzt. Ich muss auf der Straße nicht mehr dafür sorgen, dass ich nicht angerempelt werde, weil alle einen großen Bogen umeinander machen. An der Supermarktkasse atmet mir niemand in den Nacken oder rammt mir den Wagen in die Füße. Können wir diese Abstandsmarker bitte für immer beibehalten? Und überhaupt den Abstand zwischen Fremden in der Öffentlichkeit?
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Was wunderschön ist in dieser absurden Zeit:
- das tägliche Konzert zur Abendstunde, das Igor Levit uns schenkt
- all die anderen Konzerte und Lesungen auf allen sozialen Kanälen
- die vielen Fotos zum Träumen, die auf Twitter gepostet werden, weil die Seele jetzt dringend gute und schöne Dinge braucht
- dass digital so viel mehr möglich ist und gemacht wird, auch von denen, die das bisher als unnütz oder schlecht abgetan haben
- dass die scheißverdammte AfD grade so wenig Gehör und Aufmerksamkeit bekommt wie schon lange nicht mehr
- dass viele enger zusammen rücken, obwohl sie weit auseinander sind
- dass Radreisen sogar virtuell möglich sind und Kunstwerke über alle Grenzen hinweg entstehen wie bei Irgendlink