Der schwarze Hund

So eine Depres­sion hat viele Gesich­ter: min­des­tens so viele wie die Zahl der Men­schen, die diese Krank­heit mit sich tra­gen. Jede sieht anders aus, passt sich seiner*m Träger*in an. Aber auch die eigene Depres­sion kommt in ver­schie­de­nen Gestal­ten, Ver­sio­nen, Kleidern.

Meine Depres­sion heißt Igor und ist in mei­ner Vor­stel­lung ein klei­ner, schwarz-wei­ßer, abgrund­tief häss­li­cher, ewig kläf­fen­der Hund. Er liegt oft mit­ten im Weg, stän­dig muss ich ihn weg­schie­ben oder über ihn drü­ber stei­gen. Außer­dem ist er wahn­sin­nig pes­si­mis­tisch und unsi­cher und um das zu kom­pen­sie­ren, hält er mir immer wie­der unter die Nase, wie schlecht und unwür­dig ich bin und dass ich ja selbst Schuld an allem bin und sowieso nicht wert, geliebt zu wer­den. Ich weiß, dass er sich damit nur bes­ser machen will, aber ver­dammt, er ist wirk­lich überzeugend.

Nur manch­mal, wenn es mir sehr gut geht, ver­zieht er sich in seine Ecke und schmollt: Igor mag fröh­li­che und lachende Men­schen näm­lich nicht und schon gar keine, die stark und hoff­nungs­voll sind. Dann wird er klein und unschein­bar und ich könnte ihn fast mögen, wie er da so frus­triert und trau­rig rum­hängt. Die Beto­nung liegt auf “fast”.

Im Gegen­satz dazu gibt es aber auch Zei­ten (nicht mehr oft, aber beson­ders gerne nach sol­chen für ihn trau­ri­gen Pha­sen), in denen er ganz still und leise in sei­ner dunk­len Ecke wächst und wächst und sich irgend­wann fast unbe­merkt an mich dran hängt, an mei­nen Bei­nen zieht und sich über meine Schul­tern legt und immer schwe­rer und dich­ter und furcht­erre­gend wird. Dann dringt er in mich ein und blo­ckiert meine Gefühle und lähmt mich von innen her­aus. Mein gan­zer Kör­per fühlt sich an wie nach der Spritze beim Zahn­arzt: du weißt, dass er da ist, aber du spürst ihn ein­fach nicht und er gehorcht dir auch nicht. Dann geht ein­fach nichts mehr. Dann bin ich nur noch müde, müde, müde. Alles andere ist egal. Auf­ste­hen, duschen, Haus­halt, reden, andere Men­schen… zu viel, alles zu viel. Dann spüre ich nur das Gewicht von die­sem schwar­zen Hund auf mir und habe nicht genug Kraft, um ihn abzu­schüt­teln, weil er drei­mal so groß ist wie ich und ich immer noch klei­ner werde. Ich hasse die­sen Zustand, aber wer schon­mal ver­sucht hat, mit einem aus­ge­wach­se­nen Neu­fund­län­der auf dem Rücken sich die Zähne zu put­zen oder zu staub­saugen, der weiß, dass das beim bes­ten Wil­len nicht geht. Du kommst gegen diese Masse ein­fach nicht an.

Wenn ich irgend­wann rea­li­siert habe, dass das grade nicht nur eines von den nor­ma­len schwar­zen Löchern ist, in die ich immer mal wie­der falle, aus denen ich aber gelernt habe, halb­wegs gut wie­der raus zu krab­beln, son­dern dass der Rie­sen­hund sich so aus­ge­brei­tet hat, ist es schon zu spät. Dann brau­che ich viel Geduld mit uns, mit Igor und mir, und vor allem Akzep­tanz und Selbst­für­sorge. Der lässt sich nicht ein­fach abschüt­teln und dann ist es gut - das dau­ert seine Zeit, bis er sich aus mir zurück zieht. Ich habe bis­her noch kei­nen ande­ren Weg gefun­den, als ihm diese Zeit zu geben und dabei den Mut nicht zu ver­lie­ren. Und danach dau­ert es eben auch noch­mal eine Weile, bis die Betäu­bung nach­lässt und ich wie­der was fühle und sehe und mich wie­der bewe­gen kann. Das ist ein­fach so, damit muss ich klar kommen.

Das ist die Phase, in der ich jetzt grade ste­cke, nach­dem das Tref­fen mit den Lieb­lings­men­schen in Malente so unglaub­lich schön war. Wo es mir so gut wie lange nicht mehr ging, weil ich mich so akzep­tiert und sogar gemocht gefühlt hab; weil wir so nah mit­ein­an­der waren, als wür­den wir uns immer noch täg­lich sehen und weil das soo gut tut. Und wo Igor nicht mit durfte.
Ich habe es nicht kom­men sehen, es hat mich aus dem Nichts - oder bes­ser: aus dem Glück von hin­ten über­fal­len. Ich bin noch immer dabei, mich von dem Schat­ten zu lösen. Aber ich lerne daraus.

Mein Leben dreht sich inzwi­schen nicht mehr nur um Igor, trotz­dem bin ich doch bei allem, was ich tue, immer mit einem Stück Auf­merk­sam­keit bei ihm: damit ich recht­zei­tig erkenne, wenn er sich in den gro­ßen schwar­zen Hund ver­wan­deln will und dage­gen steu­ern kann. Das ver­braucht einen Teil mei­ner Ener­gie, von der ich sowieso nur noch unge­fähr 60% habe. Das ist, was keine*r sieht von außen. Das ist, was nur die ken­nen, die auch einen sol­chen Hund zuhause haben.


Ihr wollt ihn sehen, mei­nen schwar­zen Hund? Dann guckt ihr hier. Aber ich warne euch vor, er ist wirk­lich häss­lich. Sozu­sa­gen der häss­lichste Hund der Welt. Und eigent­lich heißt er auch nicht Igor, son­dern Pea­nut, aber das hab ich erst spä­ter erfah­ren, nach­dem ich beim Anblick des Fotos mei­nen Hund erkannt und ihm den Namen ver­passt habe. Jetzt gibt es ihn eben zwei­mal, das stört ja keinen.


Die Bezeich­nung stammt übri­gens aus dem sehr guten, sehr berüh­ren­den Buch “Mein schwar­zer Hund” von Matthew John­stone, das man in jedem loka­len Buch­la­den kau­fen oder bestel­len kann. Eine Kurz­fas­sung als Video gibt es z.B. bei You­tube.

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