Ich bin vier

Eine, die noch klein ist und nur mit dem Her­zen fühlt, weil der Kopf noch nicht weiß.
Sie möchte geliebt wer­den, weil Liebe Nah­rung ist und Wach­sen mög­lich macht.
Sie möchte beach­tet wer­den, weil Auf­merk­sam­keit Größe und Stärke gibt.
Sie möchte ver­sorgt wer­den, weil Zuwen­dung not­wen­dig für die innere und äußere Gesund­heit ist.
Aber sie hat schnell gelernt, dass sie von all­dem nur kleine Häpp­chen bekommt und nimmt es meis­tens klag­los hin, auch wenn es sich falsch anfühlt.

Eine, die nicht mehr ganz so klein ist und schon viel zu viel gese­hen hat, was sie nicht ver­ste­hen kann.
Aber kei­ner spricht mit ihr, kei­ner erklärt ihr was, kei­ner trös­tet sie. Darum ver­schließt sie den Schmerz und die Fra­gen und die Ein­sam­keit hin­ter dicken Stahl­wän­den und ihr Inners­tes gleich mit. Damit ihr kei­ner mehr zu nahe kom­men kann. Damit ihr kei­ner mehr weh tun kann. Damit kei­ner sie sehen kann.
Aber sie sieht sich nun selbst nicht mehr, spürt nicht mehr Liebe und Freude und Stolz und Größe. Ver­trauen schwin­det und Trau­rig­keit, Bit­ter­keit und Ein­sam­keit drü­cken auf ihr Herz.

Eine, die wei­ter macht. Die rebel­liert gegen Alle und Alles. Die keine große Hoff­nung hat, aber viel Trotz und Wut im Bauch.
Sie weiß nicht, woher diese Wut kommt. Sie weiß nicht, warum sie so bit­ter ist und so sar­kas­tisch und zynisch und warum sie jeden Men­schen weg­beißt, der ihren Gefüh­len zu nahe kommt. Sie kann es nicht wis­sen: sie hat den Tre­sor, in dem ihr Inners­tes und der Schmerz ein­ge­schlos­sen sind, weit weg­ge­scho­ben, weil die Last sie sonst erdrü­cken würde.
Darum macht sie wei­ter und tut so, als wäre das alles normal.

Und dann noch die, die sich bemüht, alles zusam­men zu hal­ten. Die kei­nen hin­ter die Mau­ern bli­cken lässt. Die mit allen Mit­teln die Fas­sade auf­recht erhält, weil sie sonst kei­nen Halt hat.
Die über­voll mit Liebe ist, aber sich nicht lie­ben (las­sen) kann.
Die Angst vor jeder neuen Ent­schei­dung und jedem unbe­kann­ten Schritt hat, weil sie kein Ver­trauen zu sich selbst hat.
Deren Herz vor Sehn­sucht schon tau­send­mal zer­sprun­gen ist, für die Bit­ter­keit der Geschmack des Lebens ist und die ertrinkt in dem sal­zi­gen Fluß ihrer unge­wein­ten Trä­nen. Die sich die Haut abschält, weil ihr ohne den gewohn­ten Schmerz etwas feh­len würde.
Aber auch: Die über­lebt hat. Die Mut hat und einen gro­ßen Wil­len, die weiß wo es lang geht und das auch ande­ren zeigt.

Wir vier: das bin ich, jetzt, heute.

Zwei­ein­halb Jahre nach dem gro­ßen Bruch und einer Unmenge an har­ter Arbeit sehe ich uns nun in gro­ßer Deut­lich­keit. Ich erkenne, wel­chen gro­ßen Ein­fluss die drei ver­steckt geglaub­ten Anteile immer an mei­nem Leben hat­ten und wer wer ist und wer wie agiert und reagiert.
Ich lerne, diese Anteile anzu­er­ken­nen und zu befür­wor­ten: sie ent­hal­ten Kraft, die ich - als Ver­ei­ni­gung von uns vie­ren - brau­che, um den Weg wei­ter gehen zu kön­nen. Um ihn auf­recht und in mir ruhend gehen zu können.
Um nicht mehr nur zu über­le­ben, son­dern um zu leben.

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