Je näher das Datum rückte in den letzten Wochen und Tagen, desto öfter sagte ich mir selbst: Es ist nur ein Tag. (Es ist nur ein Tag. Es ist nur ein Tag.) Diesen einen Tag werde ich überstehen, wie jedes Jahr. Es ist einer der drei schlimmsten im Jahr, aber er wird vorüber gehen und dann geht es wieder für eine Weile.
Was Weihnachten so schlimm macht für mich? Es ist dieses unvergängliche Gefühl, dass es eine Familie erfordert. Wenn du keine hast, ob biologisch oder selbst erwählt, kannst du kein Weihnachten feiern, wie es sein soll.
Meine biologische Familie besteht aus einer weit entfernten Schwester, drei weiteren Schwestern, zu denen ich keinen Kontakt habe und meiner Tochter mit ihrem Lebenspartner und meinem Enkel. Die jungen Leute sind dabei, sich ihre eigenen Traditionen zu suchen und da gehöre ich (noch) nicht dazu. Ich akzeptiere das. So, wie sie es feiern möchten, ist es nicht meine Vorstellung; ich würde mich anpassen und dadurch verstellen und mich am Ende doch unwohl fühlen.
Meine erwählte Familie sind eine Handvoll FreundInnen, die viel zu weit weg wohnen.
Obwohl ich aus Erfahrung weiß, dass meine Idealvorstellung von Weihnachten in den seltensten Fällen der Wirklichkeit entsprach, ist sie seit Kindertagen in meinem Kopf und will nicht gehen.
Ich wünschte mir so sehr einen Tag oder mehr zusammen mit Menschen, die ich liebe. Den “Geist von Weihnachten” - Liebe, Nähe, Zuneigung, Frieden, Fröhlichkeit - gemeinsam erleben und fühlbar machen. Mit Gelassenheit und Heiterkeit den Tag verbringen, vom gemütlichen Frühstück im Schlafanzug über letzte Vorbereitungen, ja, auch einen Baum zu schmücken und Geschenke zu überreichen bis zum gemeinsamen Kochen und Essen, sitzen und reden und lachen und erinnern und auf das Wohl der Vorausgegangenen zu trinken. Ein Tag, an dem alles darf und nichts muss, ausser zusammen zu sein und sich angenommen zu fühlen.
Irgendwas mit Bullerbü in erwachsen.
Die Weihnachten meiner Kindheit fingen so an und endeten in der Regel anders. Streit und Tränen waren praktisch immer dabei, letzteres sehr oft auf Seiten meiner Mutter, die sich das alles so schön gewünscht und sich wochenlang bis ans Ende ihrer Kraft geschuftet hatte, um alle zufrieden zu stellen.
Wenn die Familie sich später alle Jubeljahre mal zu dieser Zeit traf, gab es eine Neuauflage der Kindheit. Keines davon möchte ich wiederholen – dann bleibe ich lieber alleine.
Und doch ist sie da, die Sehnsucht, gerade zu Weihnachten. Nach heiler Familie, nach Geborgenheit. Dazu zu gehören. Geschätzt zu werden, geliebt zu werden und das auch sehen zu können.
Ich weiß (zumindest theoretisch), dass ich geschätzt und geliebt werde, aber das macht diesen einen Tag, den ich wie seit langem auch in diesem Jahr wieder alleine verbringe, nicht leichter. Das macht diese ganze Zeit nicht leichter, wenn überall um einen herum von Feiern und Geschenken die Rede ist, wenn sich allseits “frohe Festtage” gewünscht wird, wenn ich nicht aus Umweltgründen keinen Baum aufstelle und schmücke, sondern weil es alleine einfach zu traurig wäre. Wenn ich am Nachmittag weinend das Weihnachtsoratorium höre, weil ich diese Musik liebe, sie aber einfach nur zu dieser Zeit gehört und ich sie so gerne mit anderen zusammen hören oder noch besser singen würde. Wenn ich mir etwas Besonderes koche am Abend und es alleine esse, hilft die Vorstellung, dass überall auf der Welt andere Menschen auch alleine sind, so gar nicht. Wenn überhaupt, macht es nur noch trauriger.
Weihnachten ist wie kein anderes Fest mit Familie verbunden, ob wir religös sind oder nicht. Wenn du keine Familie hast, wie willst du Weihnachten feiern?
Aber es ist nur ein Tag und er wird vorüber gehen, wie immer. Dann noch Silvester und alles ist überstanden. Bis zum nächsten Jahr.