Vielleicht ist das jetzt der Moment, wo es reicht. Eigentlich mag ich schon lange nicht mehr an diesem Ort sein, an dem mit Elon Musk ein Einzelner meint, alles bestimmen zu können - zumal der ja politisch und gesellschaftlich gesehen auf einer für mich völlig falschen Seite steht. Lange Zeit wollte ich dennoch bleiben, aus verschiedenen Gründen; ich schrieb im Oktober schon einmal darüber, mochte mich dem Thema aber eigentlich nie stellen und hab den Beitrag darum erst heute (nachträglich) veröffentlicht.
An erster Stelle steht natürlich meine “bekloppte” Bubble, die ich nicht verlieren will. Die ich morgens beim Frühstück lese, die ich schon so lange begleite, der ich mich zugehörig fühle und die mir immer wieder Mut macht und Auftrieb gibt, wenn es bei mir mal wieder dunkel ist. Auch wenn ich so gut wie niemanden live kenne und viele nichts von mir wissen, sind es doch die, die mir am Herzen liegen und ohne die ich nicht sein möchte.
Extrem wichtig sind für mich aber auch all die klugen Menschen aus Politik, Wissenschaft, Gesellschaft & Kultur, von denen ich so viel gelernt habe und die ausdrücken, was ich denke. Hier lese ich, was in der Welt geschieht und hier bekomme ich alle Infos, die ich brauche, um mir eine Meinung zu bilden. Vor allem deswegen werde ich meinen Twitteraccount vorerst nicht löschen.
Inzwischen gab es aber so viele Änderungen an Funktionen und Optik, die einzig dem Spieltrieb und Verdienst des Besitzers dienen (wobei der Verdienst, so ein Pech, leider wohl ausbleibt, weil sehr viele Unternehmen nicht mehr auf Twitter werben wollen) und einfach nerven. Der neueste Streich ist die Umbenennung von “Twitter” in “X”. Ein Thread von Linda Yaccarino(Nachfolgerin von Elon Musk als Chief Executive Officer von X Corp., dem Anbieter von Twitter) verheißt weitere Entwicklungen in eine Richtung, die ich nicht mehr mitmachen will.
Darum ist es jetzt wohl an der Zeit, mir diesen anderen Ort doch so gut wie möglich einzurichten. Seit letztem Oktober (doch schon) April 2022 hab ich dort einen Account, hab mich umgesehen und ausprobiert, eine Handvoll Menschen von Twitter gefunden und dem Ding immer wieder neue Chancen gegeben. Ich mag da immer noch einiges nicht, aber es gibt wenigstens nicht ganz so vieles da, das ich ausblenden muss, um mich nicht permanent aufzuregen. Kürzlich hab ich eine App für den Desktop gefunden, die es mir etwas leichter macht, weil sie das Mammut mit Hilfe eines Elches optisch in einen Vogel verwandelt. Ich bin ein visueller Mensch, ich brauche sowas.
Damit verändert sich jetzt ganz langsam auch mein Gefühl zu dem neuen “Fediverse” — die trotzige Abwehrhaltung weicht der Neugier. Ganz im Sinn von Open Software mache ich für mich daraus einen Ort, an dem ich mich wohl fühle, der vielleicht ein neues Zuhause wird. Ich nehme mir die Freiheit, bestimmte Begriffe zu ersetzen mit eigenen. Ich like, wenn ich etwas mag. Ich re-poste, was mir wichtig ist. Auch dort werde ich in meinem kleinen Tante-Emma-Laden stehen und Privates und Politisches schreiben und teilen. Nach und nach richte ich mich ein zwischen Listen, Filtern, Vorlieben und neuen Räumen. Ich bin glücklich über Jede*n, die*den ich dort aus meiner Familie wieder treffe und inzwischen auch gespannt auf neue Gesichter. Und vielleicht gewöhne ich mich ja allmählich sogar an ein paar dieser komischen Ausdrücke und finde raus, wie das da funktioniert.
(Es ist doch auch Tagebuch. MEIN Tagebuch. Es ist nicht wichtig, ob es jemand liest - es ist nur wichtig, dass ich es schreibe.)
***
Manchmal fällt mir ein, dass ich inzwischen näher an der 80 als an der 40 bin und dann fühl ich mich ganz schön alt. Mein Körper nickt dann an mit verschiedenen schmerzenden Stellen.
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Vor langer Zeit schrieb M. eine Notiz für mich.
Wer am Ende wartet: nur die, die du sein sollst
und ich frage mich, ob da noch einmal eine gravierende Wendung kommt oder ob ich jetzt schon angekommen bin und wenn ja, ob ich denn damit schon einverstanden bin? Bin ich, obwohl doch anders als derzeit gedacht, die geworden, die ich sein sollte?
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In meinem Herzen sehne ich mich nach nichts mehr als nach Zweisamkeit, Geborgenheit, Fürsorge. Nach einem Zuhause. Meine Seele aber ist eine Eremitin und eine Vagabundin, die nach einer Weile weiter wandern muss, wenn sie nicht findet, wonach das Herz sucht. Das ist die Ambivalenz, die mich schon mein ganzes Leben begleitet.
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Was schön ist in diesem Jahr: die Wildnis auf meinem Balkon. Zum Sitzen bleibt nur wenig Platz, aber auch vom Schreibtisch aus genieße ich den Blick in meine grüne Oase.
Und: der Reha-Antrag ist weg. Daumen dürfen gedrückt werden.
Training for my summer body? Fuck no! I’m training for my old lady body. Dense bones. Strong muscles. A healthy heart. Good balance. Functional independence.
“Training für meinen Sommerkörper? Scheiße, nein! Ich trainiere für meinen alten Frauenkörper. Dichte Knochen. Starke Muskeln. Ein gesundes Herz. Gute Balance. Funktionale Unabhängigkeit.”
Ich bin noch nicht bereit, diesen Körper aufzugeben. Ein paar Jahre werd ich ihn noch brauchen.
So schade, dass ich den Trotz, den ich aufbringe, wenn ich etwas tun soll, was ich nicht will, nicht umdrehen und für mich verwenden kann. Zum Beispiel in Bezug auf das Gewicht: “mir doch egal, was die Folgen sind, ich ess den Rest jetzt auf” vs. “scheixx auf die Gelüste, ich ess das jetzt nicht”. Oder beim Ergometer, bei der Ins-Bett-geh-Zeit, beim Schreiben der Begründung für den Reha-Antrag.
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Ich würde so gerne positiv denken. Das Gute als die Normalität sehen. Aber wenn die Zahl der okayen und schlechten Tage überwiegt, dann sind die guten eben immer nur die Ausnahme und reichen nicht aus, um die Sicht dauerhaft umzudrehen. So lange das so ist, werde ich immer eher und schneller im Graben landen als auf Berge zu steigen. Das Gute ist, dass ich inzwischen darauf vertrauen kann, dass ich aus dem Graben wieder raus finde.
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Wie kann ich meine Vergangenheit hinter mir lassen, wenn ich jede Nacht davon träume? Wie kann ich den Einen los lassen, wenn er sich dauernd in meine Träume schleicht und mir dort gibt, für was er im Leben nicht bereit war? Ich weine wieder viel zu oft beim Aufwachen.
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Anstatt mit dem Vergangenen abzuschließen, vergesse ich immer schneller in der Gegenwart. Grade noch hatte ich einen Gedanken im Kopf perfekt ausformuliert - kaum will ich ihn aufschreiben, ist er fortgeflogen. Wenn ich Dinge nicht sofort erledige, sind sie vergessen. In meinem Kalender stehen inzwischen Erinnerungen daran, dass ich etwas tun will. Werde ich alt? Oder habe ich in meinem Leben schon so viel gedacht, dass jetzt kein Platz mehr ist in meinem Kopf?
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Ich wünsche mir eine KI, die die Gedanken aus meinem Kopf direkt hier in den Blog überträgt.
Mindestens zwei Monate war ich nicht mehr auf dem Ergometer. Übergroß der Widerwillen, das Gefühl, dass es doch sowieso nicht hilft. Dazu der Hass auf alles, was mit Sport & Leistung zu tun hat und natürlich auf meinen Körper mit dem verdammten Gewicht und den Schmerzen. Grade diesem Körper würde das Training gut tun, aber dann muss ich mich auch mit ihm beschäftigen und das versuche ich ja zu vermeiden. Katze - Schwanz und so. Ja, ist scheisse, weiß ich.
Gestern nachmittag hab ich mich drauf gesetzt. Ich dachte noch, dass die Batterien bestimmt leer sein würden, aber es funktionierte alles und der Computer in dem Ding hat mich wieder erkannt. Ich hatte mir vorgenommen, ohne Stress und Geschwindigkeit zu fahren, einfach so. Als wäre ich draußen in der Natur unterwegs. Hände weg vom Pulsmesser, auf keine der Anzeigen für Strecke und Tempo achten, nur ruhig und regelmäßig treten. 15 Minuten hab ich geschafft, dann war die Pizza fertig. Und naja, es war in Ordnung. Ich will nicht so weit gehen zu sagen, dass es Spaß gemacht hat, aber es war okay. Klar, ohne Anstrengung nützt es dem Körper nicht wirklich was, aber vielleicht hilft es, überhaupt wieder auf das Rad zu steigen, wenn ich es so langsam angehe. Und vielleicht werden die Schmerzen in den Knien damit schon ein bißchen weniger.
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Danach dann die übliche Unterhaltung zwischen mir und der Stimme in meinem Kopf.
Ich: Hey, das war doch ganz okay. Stimme: Jaja. War ja auch nicht viel. Und du hast überhaupt nicht geschwitzt! So bringt das doch nix. Ich: Aber zum Wiedereinstieg war es gut! Ich bin jedenfalls stolz auf mich, dass ich es gemacht hab. Stimme: Stolz??? 5 km in 15 Minuten sind echt kein Grund, stolz zu sein! Und warte mal ab, wie lange du es diesmal durchhälst oder eben auch nicht. Wenn du irgendwann vielleicht mal 10 kg abgenommen hast, kannst du stolz sein, aber vorher doch nicht. Ich: … Stimme: Du weißt, dass ich Recht habe! Ich: … Stimme: … Ich: Weißte was, Stimme, ich war auf dem blöden Gerät, ich bin gefahren, also bin ich stolz auf mich und darf das auch. Verpiss dich doch einfach. Stimme: *grummel* Aber … Ich: Geh weg!
Interesse, das: Gefühl oder Einstellung, von etwas mehr wissen zu wollen.
***
Ich finde nicht zurück ins Schreiben. Den ganzen wachen Tag lang denke ich Sätze im Kopf, schreibe in Gedanken, was ich denke, formuliere hin und her, öffne immer wieder meinen Blog und am Ende steht hier doch wieder nichts. (Wen interessiert das schon, was ich so denke.)
So oft tippe ich Antworten auf Beiträge von anderen und lösche sie wieder, weil: ich will ja nicht stören, mich aufdrängen, ungebeten rein quatschen. Nur weil ich Menschen in den sozialen Medien folge, kennen die mich ja nicht. (Warum sollte die denn interessieren, was ich sage?)
Immer noch wundere ich mich immer wieder, dass es Menschen gibt, die mich anscheinend mögen und schätzen. Dass ich vollwertiger Teil der Mittwochsgruppe sein soll. Dass es jemanden wie D. gibt, die mich damals bewußt angeschrieben hat und mit mir Kontakt haben wollte und die jetzt beste Freundin ist, schon so lange. (Wer interessiert sich denn schon für mich?)
Immer schon lebe ich in der Angst, jederzeit verlassen werden zu können, weil jemand Besseres kommt. Dass ich als Freundin nur zur Überbrückung diene. Ganz nett zwar für eine Weile, aber nicht auf Dauer. So oft schon habe ich genau das erlebt. Ich bin eben nicht interessant, wichtig, klug, witzig, wegweisend, wasweißich. Ich bin nur ein kleiner Mensch, der nicht allein sein will.
Im April den 12. Geburtstag vom besten Enkel der Welt gefeiert. Soo ein toller Junge! Witzig, klug, phantasievoll, anmutig, sensibel und mit so viel Gefühl. Und so große Schwierigkeiten in der Schule, weil er mit all seinem Anders-Sein nicht wirklich akzeptiert und unterstützt wird. Dazu ein Schulsystem, das kein Wiederholen einer Klasse mehr erlaubt, Kinder aber aufgrund einer schlechten Note in einem Fach abstufen und dann an eine völlig beliebige Schule irgendwo im großen Stadtgebiet stecken darf. Ich möchte abwechselnd kotzen und nochmal auf die Barrikaden gehen.
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Es gab eine Frage von Martin Gommel auf Twitter zum Thema Sport, auf die ich antworten will und statt dessen innerhalb kürzester Zeit tief in meiner Vergangenheit & in Tränen aufgelöst bin. Ich mach seit 12 Jahren intensiv Therapie und denk, ich weiß alles, aber es findet sich immer wieder ein neues Minenfeld. Da muss ich dann wohl auch nochmal ran.
Aber ich geh wieder schwimmen einmal in der Woche! Mit viel Widerwillen, aber ich zieh das jetzt durch. Und auf den Ergometer find ich auch wieder zurück, doch, bestimmt. Versprochen.
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So langsam gewöhne ich mich daran, dass ich mehrmals in der Woche mit Bahn&Bus unterwegs bin. Eigentlich ist es sogar ganz nett, wieder draußen zu sein, was anderes zu sehen und vor allem natürlich die Menschen beim Hilfe-Dings zu treffen (und nebenbei meine uralte Heimat Ottensen wieder zu entdecken, wohin sie ja umgezogen sind). Seit Mai gibt es nun auch das Deutschlandticket, für das ich als Bürgergeldempfängerin nur 19 Euro im Monat zahle und mit dem ich überall hin und vor allem jederzeit fahren kann. Ich nutze es noch nicht viel, weil das Wetter so lange einfach mies war, aber dass ich z.B. nach der Mittwochsgruppe einfach mal mit dem Bus nach Övelgönne fahren, dort bleiben, solange ich will und dann von da aus mit der Fähre über die Elbe zurück zu den Landungsbrücken schippern kann, ist einfach Gold wert. Auf meiner Liste stehen noch viele Orte, an die ich gerne will; ich hoffe, ich krieg das dann auch hin.
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Dann war da aber leider noch Igor, der sich ja schon seit längerem nicht mehr blicken ließ und sich dann doch nach einem sehr schönen Mittwoch (s.o.) einfach wieder mit in meine Wohnung geschlichen und seine Koffer ausgepackt hat. Da hinein stopfte er dann meine Freude, meine Kraft und meinen sowieso nur rudimentär vorhandenen Optimismus. Dauernd stand da wieder die Frage nach dem “Wozu” im Raum und ich fand keine Antwort und ehrlich, ich hasse das so sehr. Ich weiß, dass es nicht “echt” ist, dass es Igor ist und kein Dauerzustand, aber es fühlt sich jedes Mal so an, als könnte ich rein gar nichts bewirken. Ich kann immer nur aushalten und abwarten, bis es ihm zu blöd wird und er sich langsam von meinen Schultern löst. Natürlich habe ich einige sog. “Ressourcen”, die gegen ihn helfen, aber in der ersten Zeit seines Besuchs kann ich die einfach nicht einsetzen. Bin wie gelähmt, bin hilflos und machtlos. Ich kann nichts Positives denken, wenn ich ein einziges NEIN bin. Das ist ein bißchen wie bei Little Britain, wo es immer heißt “Computer sagt Nein”, nur dass es bei mir eben Igor ist. Aber natürlich geht es irgendwann wieder vorbei wie immer und ich kann das dumme Hundevieh immer mehr ignorieren, bis es sich verzieht. Ich gerate nicht mehr Panik, aber schön ist das nicht.
***
Aber: es wurde ein “Ich stelle einen Reha-Antrag”-Beschluß gefasst. Ich kann so auf Dauer nicht weiter machen, dieser Kreislauf aus Depression - Fressanfälle - Übergewicht - Schmerzen in Beinen, Füßen, Rücken - Mut- und Hoffnungslosigkeit - Depression etc. nimmt mir zuviel. Es braucht natürlich wie immer viel Zeit und Überzeugung, bis ich mir erlaube zu sagen, dass ich Hilfe brauche. Dazu beigetragen hat etwas, das auf der Webseite der Klinik steht, in die ich gerne gehen würde:
Das ist das Gesetz: Jeder, der sozialversichert ist, hat das Recht auf eine Rehabilitation. Genauer gesagt, auf notwendige Rehabilitationsmaßnahmen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Gesundheit und Leistungsfähigkeit. Ob Krankheit oder Behinderung – Hauptsache, die Rehabilitation verspricht Erfolg! Egal, ob für Senioren, Erwachsene, Jugendliche oder Kinder.
https://www.strandklinik-spo.de/ihr-weg-zur-reha
Ich darf Leistungen in Anspruch nehmen, die meiner Gesundheit und meinem Wohlbefinden dienen, obwohl ich der Gesellschaft nicht mehr mit Arbeit zur Verfügung stehe. Ich habe ein Recht darauf, dass es mir körperlich und seelisch gut geht, egal aus welchen Gründen - selbst- oder fremdverschuldet - ich krank bin. Ich vergesse das nur zu oft.
***
Und damit bin ich wieder im Heute angekommen, bzw. im Gestern, als ich das hier an Freundin D. schrieb:
Wie es mir geht? Besch…eiden. Mit dem schönen Wetter kommt meine Verzweiflung bezüglich des Lärms zurück. Es ist nicht nur der Baulärm von so vielen Seiten (der mich auch heute morgen um 8 geweckt hat), sondern eigentlich alles vor meiner geöffneten Balkontür. Die Autofahrer:innen, die hier durch rasen, nachdem die Sperrung nun aufgehoben ist und die Straße wieder in beide Richtungen befahren werden kann. Die, die mit laufendem Motor stehen und auf irgendwas warten. Die, die dabei die Musik aufdrehen wie in der Disco. Die, die aus ihren SUVs keinen Blick haben und darum ein Warnsignal beim rückwärts fahren brauchen, das dann ewig piept, weil sie eben wegen der eingeschränkten Sicht nur langsam fahren können. Die, die ihre Karre so bescheiden abstellen, dass niemand mehr durch kommt und wie blöd gehupt wird. Genauso auf die Nerven gehen die vielen Menschen mit ihrem dauernden Geplapper, Gegacker, Geschrei in einer Lautstärke, die keine Grenze mehr kennt. Es ist eine permanente Kakophonie von Geräuschen, die sich wie Metallsplitter auf meine Nerven legt und andauernd reibt, sticht, weh tut. Mein Rücken tut extrem weh von der Anspannung, die es braucht, das auszuhalten. Und ich habe keine Lösung dafür. Ich kann nicht andauernd weg gehen, den ganzen Tag bis nachts außer Haus verbringen, so lange, wie der größte Lärm dauert. Ich will (abgesehen von meinen Terminen) zuhause sein können, an meinem sicheren Ort, an dem ich alles habe, was ich brauche. Ich möchte meine Balkontür aufmachen und die Sonne rein lassen und die Sommerluft spüren, weil es mir gut tut und Igor vertreibt. Ich kann aber nicht den ganzen Sommer über jeden Tag stundenlang mit Kopfhörern oder Ohrstöpseln hier sitzen — nicht nur wegen dem Tinnitus, der dann noch lauter als sonst piepst. Ich fühle mich darunter abgeschottet, ausgeschaltet und unsicher, ich hab Angst, dass ich eine eventuelle Gefahr nicht mitbekomme. Ich weiß, das ist eigentlich Quatsch, was soll mir schon passieren in meiner eigenen Wohnung? Aber wann sind solche Ängste schon wirklich real? Ich weiß nicht, wie ich mich an diese Geräusche wieder gewöhnen kann. Mir graust vor dem Sommer, jetzt schon. Ich fühle mich hilflos und ausgeliefert. Und nebenbei ist das natürlich die Stimmung, die Igor besonders liebt.
Ich wäre so gerne mutig genug, einfach z.B. nach Flensburg oder irgendwo in die Pampa zu ziehen. Oder wenigstens an den Rand von Hamburg, weit weg von allem. Ich mag ja eh keine Menschen und bin lieber allein. Aber einkaufen muss ich trotzdem und zum Arzt und zur Tochter; es muss also Verkehrsanbindung geben, denn auf Füße und Fahrrad kann ich mich nicht verlassen. Da bin ich also schon wieder eingeschränkt. Aber ich trau mich eh nicht, mich mit dem blöden Hartz 4 auf eine Wohnung zu bewerben. Eine Schufa-Auskunft wollen die meisten Vermieter:innen auch haben, die kostet nochmal viel Geld. Dann lass ich es doch lieber gleich und bleibe hier und halte aus und jammer und suche wieder und verzweifle und und und. Ich weiß keine Lösung.
Kennt nicht jemand jemanden, der:die eine Gartenlaube zum Wohnen hat oder eine Hütte im Wald oder ein Haus, das gehütet werden muss? Schenkt mir jemand Geld, so dass ich verreisen kann? *seufz*
***
So oder ähnlich klingt das übrigens auf meinem Balkon an einem Samstagabend in unserem “Szene-Eck”. In der Hauptstraße nebenan war zwar Fest und damit auch mehr Besucher unterwegs, aber die Kneipen und Restaurants sind auch sonst bei so schönem Wetter wie gestern bis zum letzten Platz gefüllt.
Vor Mitternacht im Bett, 12 Stunden geschlafen, mit Kopfschmerzen und schwerem Körper aufgewacht: das ist, wie ich reagiere auf einen Tag wie gestern, an dem ich nicht nur die Mittwochsgruppe, sondern ausnahmsweise auch mein monatliches Therapiegespräch habe und dafür insgesamt fast 2 Stunden mit den Öffentlichen unterwegs bin. Dann sinkt der Akku bis zum Abend auf 10% und braucht mindestens einen von allen Verpflichtungen freien Tag, um wieder auf ein akzeptables Level zu kommen.
Nein, ich beklage mich nicht, ich stelle nur fest. Und bin froh, dass ich mir einen solchen freien Tag heute nehmen kann. (Fast hätte ich wieder “erlauben” geschrieben, aber wo niemand etwas untersagt, kann auch niemand erlauben. So einfach ist das.)
***
Gestern in der Therapiestunde. Ich: “Wie werde ich nur diese alten Glaubenssätze los, die immer und immer wieder in meinem Kopf entstehen und mit denen ich mich klein und wertlos mache?“ Therapeutin: “Gar nicht. Die werden auf die ein oder andere Weise immer da sein.“ Ich: “Dann muss ich etwas finden, das ich dagegen stellen kann.“ Therapeutin: “Oder daneben.”
Vielleicht ist es genau das. So wie ich aufgehört habe, gegen meinen Igor zu kämpfen und statt dessen gelernt habe, ihm zuzuhören und ihn anders wahr zu nehmen, kann ich vielleicht lernen, diese Sätze in meinem Kopf nicht wegmachen zu wollen, sondern ihnen zu antworten. Ich kann sie hinterfragen, gucken, wo sie her kommen und ob sie wirklich immer noch gültig sind. Es gibt immer einen Spiegel, der die andere Seite und Sichtweise zeigt. Nur weil die alten Sätze immer gleich so losbrüllen und meine Aufmerksamkeit von dem Spiegel ablenken, bedeutet es nicht, dass sie richtig sind. Ich darf sie in Frage stellen - und ich darf neue Sätze finden.
Stell dich nicht so an! → Ich habe Schwierigkeiten damit. Das ist in Ordnung.
Dafür bist du nicht krank genug. → Es ist Unsinn, Krankheiten zu vergleichen. Wenn es mich einschränkt und Positives verhindert, ist es Grund genug, Entlastung zu bekommen.
Das bist du nicht wert. → Doch.
Mach du mir nicht auch noch Probleme! → Meine Probleme sind genauso real wie die von anderen und lassen sich nicht wegreden, weil sie unbequem sind. Bitte hilf mir.
Jammer nicht rum, mach einfach! → Aussprechen zu können, dass etwas schlimm ist, hilft mir. Ich kann nur ändern, was mir bewußt ist.
Wenn du es nicht änderst, willst du es nur nicht genug! → Etwas nicht zu können, hat nichts mit dem Willen zu tun.
Wer den ersten Schritt nicht geht, ist feige. → Wer den ersten Schritt nicht geht, hat vielleicht keine Kraft dafür.
Das schaffst du sowieso nicht. → Wenn du aufhörst, mich weiter mit deinen blöden Sätzen zu belästigen, schaff ich alles, was ich kann.
Ein erster Versuch, ganz spontan. Ich bin sicher, dass ich noch viele andere finde. Macht ihr mit? Schreibt gerne in den Kommentaren, was euch einfällt!
***
Fliegen will ich!
Nicht mehr gebunden sein
an die alten Muster
die längst ausgeblichen sind
und ihre Gültigkeit
verloren haben (sollten).
Nicht mehr stehen bleiben
im Sumpf der Gedanken
die festhalten
und klein machen
und mir nichts zutrauen.
Nicht immer gleich aufgeben
aushalten und resignieren
weil der Mut fehlt
und die Hoffnung
dass ich etwas ändern kann.
Ich will los lassen
dem Lauf der Möglichkeiten folgen
vertrauen auf mich
und dass ich weiß
was richtig ist.
Ich will weiter gehen
auf meinem eigenen Weg
so wie es mir entspricht
und mir gut tut
weil ich es mir wert bin.
Fliegen will ich!
Weil ich es kann.
In den letzten dreieinhalb Wochen ist hier nichts passiert, worüber ich hätte schreiben können. Die meiste Zeit hab ich nichts getan außer aufzustehen, meine Termine einzuhalten und die Tage so zu verbringen, dass ich am Abend wenigstens nicht unzufrieden bin. Aber das ist okay, das darf so sein.
Gestern wäre eigentlich Schwimmgruppe vom Hilfe-Dings gewesen, die fiel allerdings wegen akutem Mangel an Mitschwimmerinnen, viel zu wenig Platz im Innenbecken (wg. Bauarbeiten ist das zweite große Becken geschlossen), Regen im Außenbecken und aus all dem resultierender Unlust leider aus. Statt dessen haben Frau R. (die auch die Schwimmgruppe betreut) und ich unser für heute geplantes Treffen vorgezogen und so hab ich einen unerwarteten freien Tag. Zeit, mal wieder was “richtiges” zu tun und an Projekte zu gehen, die hier angefangen rumliegen. Naja, und ein bißchen schreiben hier, das auch.
***
Wie üblich wirkte die ganze Geschichte rund um das Ehrenamt noch lange nach. Die Entscheidung, mich überhaupt zu bewerben, der Mut, nach draußen zu gehen und mich zu zeigen, die Aufregung, neue / fremde Menschen zu treffen, mit Überzeugung für mich einzustehen und am Ende noch einmal die Entscheidung, es nicht zu tun: jeder einzelne dieser Punkte und alle kleinen “Unterpunkte” brauchten viel Kraft und dann eben auch Zeit, um die Batterie wieder aufzuladen.
***
Ende Februar ist die Zweigstelle von meinem Hilfe-Dings umgezogen. Bisher waren sie an der Grenze zwischen Eimsbüttel und Altona auf zwei Orte verteilt, die ich beide schnell und einfach mit dem Rad oder bei schlechtem Wetter mit dem Bus erreichen konnte. Jetzt gibt es einen einzigen großen Standort mitten in Altona mit vielen unterschiedlich großen Räumen auf einer Etage. Das ist für alle richtig gut und es ist wunderschön und hell und freundlich dort, aber der Standort ist für mich (und viele andere) viel weiter weg als vorher - mit dem Rad bräuchte ich über eine halbe Stunde für einen Weg, das ist nicht wirklich machbar. Es bleibt also nur Bahn & Bus und wie sehr ich dank Corona verlernt habe, dass da im öffentlichen Raum unglaublich viele andere Menschen sind, die einem auf die Pelle rücken und laut sind und rücksichtslos, merkte ich so richtig, nachdem ich in der ersten Woche nach dem Umzug an 3 Tagen hintereinander unterwegs war. Und das sind nur die ganz normalen Termine: montags zum Schwimmen, am Dienstag der Einzeltermin und mittwochs die Gruppe. Wenn dann noch die Therapie dazu kommt, sind es sogar 4 Tage und immer zwischen Mittag und Nachmittag, wenn sowieso am meisten los ist. Das auszuhalten und mich abzugrenzen raubt extrem viel Energie. Glücklicherweise hat meine gute Frau R. vorgeschlagen, dass wir unsere wöchentlichen Termine abwechselnd telefonisch und life machen können und eines der beiden Treffen auch in meiner Nähe statt finden kann. Das entlastet wenigstens ein bißchen.
Was Frau R. noch macht: sie drängelt grade - natürlich ganz liebevoll und mit Unterstützung! -, dass ich eine Beförderungspauschale beantragen soll, die mir erlauben würde, einige Fahrten mit dem Taxi zu machen. Was da sofort für uralte Glaubenssätze in mir hoch kommen! “Dafür bist du nicht krank / geschädigt genug”, “das bißchen Busfahren ist doch nicht so schlimm”, “sei froh, dass du überhaupt Geld zum Leben bekommst” und natürlich der Lieblingssatz “stell dich doch nicht so an”. Alle anderen hätten das verdient, aber ich doch nicht. Und wenn ich das in Anspruch nehmen würde, dann müsste ich ja wirklich akzeptieren, dass ich krank bin.
Ich hab in den letzten zwei Jahren hart daran gearbeitet, dass ich mein Leben annehmen kann, wie es eben geworden ist. Trotzdem sind da noch unzählige alte Sätze und Muster in mir, die die vollständige Akzeptanz blockieren. Es macht mich immer noch traurig und wütend, wie klein und wertlos wir gemacht und gehalten wurden und dass alles wehren dagegen alles nur noch schlimmer gemacht hat. Ich glaube nichtmal, dass meine Mutter uns absichtlich damit schaden wollte, aber es war zu der Zeit eben nicht anders und sie war froh, wenn sie nicht noch mehr Probleme hatte als die, die eh schon reichlich da waren. Irgendwie kann ich es aus ihrer Sicht verstehen, aber ich sitze hier 60 Jahre später und hab immer noch damit zu kämpfen. Und wenn ich eins geschafft hab, dann kommt der nächste Satz um die Ecke und macht mich wieder klein. Und wieder halte ich aus und gestehe mir Sachen nicht zu und ordne mich ganz nach unten, weil ich es ja nicht anders kenne und nicht anders verdient habe, denn: wer bin ich denn schon.
Ich bin wütend - aber noch größer als die Wut ist die Resignation. Was kann ich denn schon ändern, jetzt noch, wo schon so viel Leben hinter mir liegt. Wenn ich es mit meinen Mitteln und meiner Kraft bis jetzt nicht geschafft habe, wie sollte es denn gehen? So ganz allgemein gesehen läuft es ja okay, damit könnte ich doch zufrieden sein, oder?
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Ich wünschte manchmal, ich wüßte nicht so viel, dann könnte ich mir vielleicht nicht vorstellen, dass es auch anders sein könnte.
Du machst deine Entscheidung zu der richtigen Entscheidung, indem du dich entscheidest.
(Freundin D. im Chat gestern)
***
Nach einigen Tagen mit Bauchschmerzen, schlechtem Schlaf, endlos kreisenden Gedanken und vielen Zweifeln hab ich jetzt die hoffentlich richtige Entscheidung getroffen, das Ehrenamt, für das ich mich beworben hatte, nicht anzutreten. Aber der Reihe nach.
***
Letzten Dienstag traf ich mich also mit B., einem der Vorsitzenden des Vereins. Ein sehr sympathischer Mann, der an diversen Stellen gleichzeitig agiert und vielleicht darum etwas chaotisch wirkt. Wir sprachen über mich, meine Vergangenheit und Gegenwart, meine Vorstellung, was ich tun kann und will. Er erzählte vom Verein, zeigte mir das Backend von der Webseite und die diversen zusätzlichen Anwendungen, mit denen da gearbeitet wird (Newsletter, Datenbank, Spendensammlung u.a.). Das war ein wirklich tolles, anregendes Gespräch, er hat sich viel Zeit genommen, die Atmosphäre war locker und angenehm. Was mich etwas störte, war, dass die Aufgaben irgendwie vage blieben. “Da könntest du was machen oder vielleicht da und hier gäbe es auch noch was oder vielleicht lieber dort?” So viele Möglichkeiten, mich einzubringen, aber eben nichts konkretes.
Am Abend kam bereits die erste Mail mit Infos, einem E-Mail-Account beim Verein, einem anderen anzulegenden für den internen Chat, der Zugang zu einem Teilbereich vom WP Backend. Und da war ich dann erstmal überfordert. Was für ein Chaos. X Seiten und Beiträge im Entwürfeordner, zum Teil seit 2 Jahren. Uralte Kommentare, die nie freigegeben, aber auch nicht gelöscht wurden. Nicht aktualisierte Plugins. Yoast SEO wurde installiert, aber komplett ignoriert. Noch dazu wurde nie umgestellt vom Classic Editor auf Gutenberg, die ganze Seite aber mit dem Theme “Enfold” gebaut, was ja selbst ein Page Builder ist. Viele der Seiten beinhalten also Teile aus allen drei Elementen, was natürlich zu einem heillosen Durcheinander führt. Das sieht man auf der Website selbst nicht, aber es macht das arbeiten eben schwer. Es gab noch einen anderen Webworker, der sich gemeldet hat für das Ehrenamt, der meinte wohl sofort, dass er die Seite komplett neu bauen würde. Nachdem ich das Backend gesehen hab, stimme ich dem zu 100% zu. Jemand muss da echt mal gründich aufräumen — aber ich bin das nicht. Noch einmal kann ich mich nicht mit Kraft und Herzblut in ein Projekt werfen, das bekommt meiner Depression nicht.
Wo das eine also wirklich eine Nummer zu groß ist für mich, sind andere Aufgaben aber zu klein. Zwischendurch mal Korrektur zu lesen oder einen Newsletter zu layouten reicht mir nicht. Alle paar Wochen oder Monate nur eine Kleinigkeit zu machen, kann ich mir nicht vorstellen. Was, wenn da grade Igor zu Besuch ist? Den kann ich nunmal nicht abstimmen darauf.
Schweren Herzens hab ich also heute bei B. abgesagt. Er hat schnell reagiert, alles gut, kein Problem und ich kann mich ja nochmal melden, wenn sich was bei mir ändert. Wer weiß, was im Leben so alles passiert.
(Aber die Aufregung beim Schreiben und vor allem Absenden der Mail! Immer wieder muss ich es mir wie ein Mantra vorsagen: ich bin niemandem was schuldig, ich muss mich nicht rechtfertigen oder entschuldigen, ich sorge für mich und meine Gesundheit, ich tue, was mir gut tut. Das alte Muster, das mir einredet, dass ich immer perfekt sein muss, dass ich nie jemanden enttäuschen darf, dass ich schlecht bin, wenn ich was nur für mich mache etc., das sitzt ganz tief.)
Aber auch ein Nein kann ein Ja sein. Die Entscheidung gegen etwas bringt mich auch weiter, weil ich dann weiß, was ich nicht will. Und bei allem Überlegen ist mir klar geworden: ich will weder eine große Aufgabe noch eine unregelmäßige, sondern eine kleine, regelmäßige. Am liebsten wären mir abgeschlossene Projekte, aber etwas dauerhaftes käme auch in Frage, wenn es nicht mehr als ca. 3 bis 5 Wochenstunden Arbeit braucht und klar strukturiert ist. Ich glaube, damit könnte ich umgehen, auch in einer nicht guten Phase.
Und jetzt hab ich etwas mehr Zeit, meine Job-Website neu zu machen (das alte Theme ist leider nicht mehr kompatibel mit der neuen PHP-Version), den Lebenslauf richtig gut zu gestalten und mich in Ruhe nach anderen ehrenamtlichen Aufgaben umzusehen. Es gibt welche für mich, da bin ich sicher. Was mir diese Aktion gebracht hat, ist auf jeden Fall das: ich hab einen ersten Schritt nach draußen gewagt. Ich hab mich getraut, mich zu zeigen (und kam, laut B., “sehr sympathisch” an)! Und ich hab - s.o. - eine deutlichere Vorstellung, was ich will. Alleine dafür hat sich alles gelohnt.
Ja, es ist gut.
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