Wartezeit

Seit Mitte Okto­ber ’17 bin ich wie­der auf der Suche nach Unter­stüt­zung wegen der Depres­sion. Eine Liste mit The­ra­peu­tin­nen in der Umge­bung anle­gen, Mut sam­meln für die Tele­fo­nate, Absa­gen ertra­gen… das alles braucht Zeit, Kraft, Ener­gie, halb­wegs sta­bile Momente - und zieht sich hin, wenn das nicht vor­han­den ist. Dann end­lich ein ers­tes Gespräch, eine The­ra­peu­tin mit Zeit, bei der ich ein gutes Gefühl habe - allein, ihr fehlt die Zulas­sung für die Kran­ken­kasse. Und die wei­gert sich, mit zwei­ma­li­ger Ableh­nung, die Kos­ten zu über­neh­men. Gibt ja genug andere in mei­ner Stadt, “wir haben Ihnen da schon­mal drei raus­ge­sucht, ach Sie woll­ten aber nicht zu einem Mann und lie­ber selbst suchen und dann auch noch ohne öffent­li­che Ver­kehrs­mit­tel hin­kom­men, wo kom­men wir denn da hin?” Na dann, müsst ihr eben für eine sta­tio­näre The­ra­pie in einer Psy­cho­kli­nik auf­kom­men, sorry vielmals.

Eine Liste mit Kli­ni­ken in der erfahr­ba­ren Umge­bung anle­gen, Web­sei­ten und Pro­gramme und Pati­en­ten­stim­men stu­die­ren, Fra­ge­bö­gen aus­fül­len, die Geschichte ein vier­tes fünf­tes sechs­tes Mal ver­su­chen in Worte zu fas­sen, war­ten auf eine Ant­wort. War­ten. Anru­fen, mit gesam­mel­tem Mut und Herz­klop­fen: “ja, hier liegt schon alles bereit, kön­nen Sie nächste Woche zum Vor­ge­spräch kom­men?” Und wann, ver­dammt noch­mal, hat­tet ihr vor, mir das mit­zu­tei­len? Nächste Woche? Warum begreift eine Kli­nik für Psy­cho­so­ma­tik nicht, dass sie es mit psy­chisch kran­ken, insta­bi­len Men­schen zu tun hat, für die die War­te­rei ein­fach nur ner­ven­auf­rei­bend ist? Aber es ist die ein­zige Kli­nik, in die ich per Ein­wei­sung komme und deren War­te­liste nicht jah­re­lang ist und die mir vom Bauch­ge­fühl trotz allem zusagt.

Mit dem Zug zum Vor­ge­spräch. Zwei Tage vor­her schon Bauch­schmer­zen, Herz­ra­sen, Panik­an­fälle. Krieg ich den Zug, wird er recht­zei­tig sein, wie komm ich da hin, gibt es ein Taxi, wie wird es da sein, sind die Men­schen okay, werde ich mich wohl füh­len kön­nen? Ich hab Angst. Ich will meine Kof­fer gleich mit­neh­men. Ich hab Angst. Und das Gespräch ist grauenhaft.
Ich werde eine Stunde lang bom­bar­diert mit Fra­gen: nach mei­ner Her­kunft, mei­ner Krank­heit, mei­nem Gedächt­nis, mei­ner Fami­lie, dem Beruf des Vaters mei­ner Toch­ter (wtf!), ob ich mich umbrin­gen will, wann ich auf­stehe, esse, schlafe, was ich mache, wenn ich was mache, ob ich die drei Begriffe noch weiß, ob ich Flash­backs habe, ob ich noch Fra­gen habe. Ich bin erschla­gen, immer wie­der den Trä­nen nah, und bei man­chen Fra­gen so vol­ler Scham und schlech­tem Gewis­sen, dass ich mich bes­ser (gesün­der!) dar­stelle als ich mich fühle und damit womög­lich meine Chance auf eine Auf­nahme verringere.
Der befra­gende Arzt (ein, wie ich inzwi­schen weiß, pen­sio­nier­ter Psy­cho­loge des Hau­ses, der nur noch die Auf­nah­me­ge­sprä­che führt) ist für mich so unan­ge­nehm, unsym­pa­thisch, kalt, ver­un­si­chernd, ich möchte eigent­lich nur weg. Ich weiß am Ende nicht wirk­lich, ob ich auf­ge­nom­men werde oder nicht. “Alles Gute, wir mel­den uns.”

Ich warte. Aber sie mel­den sich nicht. Also wie­der Mut sam­meln, den rich­ti­gen Moment abpas­sen, anru­fen. “Natür­lich wer­den Sie auf­ge­nom­men, hat man Ihnen das nicht gesagt? Naja, nur jetzt lei­der noch nicht, wis­sen Sie, wir haben noch kein Bett für Sie und über­haupt haben wir ja die Influ­enza im Haus.” Ich erfahre also: wenn ich am Mitt­woch einen Anruf bekomme, darf ich in der Woche dar­auf kom­men. Wenn ich kei­nen Anruf bekomme, dann bekomme ich ihn eine Woche spä­ter und darf in der Woche dar­auf kom­men. Wahrscheinlich.

War­ten.

Und in der Zeit dazwi­schen schiebe ich alles weg, was dicht unter der Ober­flä­che gärt und bro­delt und so drin­gend raus will. Weil ich Angst habe vor dem, was raus kommt. Weil ich Angst habe, dass ich damit nicht alleine zurecht komme. Weil ich keine Kraft habe.
Ich bin müde, ruhe­los, unge­dul­dig, genervt, antriebs­los, schlaf­los, freud­los, los, los los. Leer und über­voll gleich­zei­tig. Ich will Kof­fer packen und los­le­gen und umsorgt wer­den end­lich und arbei­ten an all dem Scheiss und ich hab Angst.

Und bin immer allein.

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